Freitag, 12. November 2010

Linkliste mit 160 Blogbeiträgen zum Antiquariat



Ein Abschied - und ein Neuanfang

Lieber Leser der Blogserien "alteskrokodil" und "kleineskrokodil",

es gilt Abschied zu nehmen. Wie Sie vielleicht wissen, bereite ich eine kleine Informationsseite für Büchersammler und Buchantiquare vor. Dort ist für Blogs nur noch ausnahmsweise Platz, aktuelle und retrospektive Sachinformation soll vorherrschen.

Ich habe aus diesem Anlaß eine verlinkte Gesamtliste meiner 160 längeren Blogbeiträge nach Juli 2009 erstellt, die vielleicht ganz nützlich sein kann.

Einige aus heutiger Sicht ärgerliche Aufsätze habe ich von der Aufnahme in die Linkliste ausgeschlossen.

Ich sehe an der etwas lustlosen Formulierung meiner neueren Beiträge, daß die Zeit des Blogschreibens für mich vorbei ist. Nun sind Informationsnetze gefragt.

Die neue Webadresse wird - wie sollte es anders sein - alteskrokodil heißen.

Leben Sie wohl!

Stets gern Ihr

Peter Mulzer in Freiburg



Das Foto aus "Abschied von Matjora" gehört dem Deutschen Filminstitut. Ich bedanke mich.

Mittwoch, 10. November 2010

Unabhängige Buchhändler und Antiquare > gemeinsam organisieren!




Im Buchhandel muß, ähnlich wie bei uns Antiquaren, nach Betriebsarten und Betriebsgrößen differenziert werden. Tut man das nicht, kommen jene Sonntagsreden und Pauschalurteile zustande, die in den Kulturteilen größerer Tageszeitungen und, notabene, im Hausorgan des Börsenvereins regelmäßig nachzulesen sind.

Fassen wir uns kurz. Es gibt den Internet-Neubuchhandel, hier vor allem Amazon. Es gibt die großen und mittleren Kettenläden, die in letzter Zeit positiver beurteilt werden als früher, auch von den eigenen Angestellten, dies gilt besonders für die Thalia-Kette. Dann haben wir noch zahlreiche große bis mittlere selbständige Buchhandlungen, oft mit einigen wenigen Filialbetrieben. Sie sehen, werte Kollegen, wie bei uns können wir recht gut beschreibbare Schichten des Gewerbes definieren.

Während im Antiquariat, das postuliere ich hier ungeschützt als These, die Probleme und Sorgen, die Unzulänglichkeiten und Mängel im mittleren Feld liegen, türmen sich die Probleme im Neubuchhandel gleich unterhalb der Mitte bis nach unten auf.

Die Lage des kleineren unabhängigen Buchhandels ist verzweifelt.

Vom Antiquariat aus gesehen haben wir es beim Neubuchhandel mit klaren Strukturen zu tun; der Neubuchhändler erhält seine bekannten Rabatte, er hat pfiffige Lieferungs- und Abrechnungssysteme, die ihm zur Hand gehen, die Kreditlage scheint nicht schlecht zu sein, das Remittendenwesen läuft klaglos, kurzum, die Rahmenorganisation ist so gut, daß wir Antiquare in unserem Chaos nur davon träumen können. Wen wundert es, daß eine bestimmte, durchaus liebenswerte Sorte von Antiquariatskollegen, die strahlend von ihren gutgehenden Geschäften in kleinen Städtchen berichten und schreiben "was wollen Sie denn, unser Antiquariat in Kleinkleckersdorf rechnet sich bestens", in Wahrheit vom sicheren Ertrag ihrer Neubücher leben. Misch- oder Querfinanzierungen zwischen Neubuch und Antiquariat scheinen keine schlechte Lösung zu sein, sofern man viel Kleinarbeit nicht scheut und selber im Laden steht.

Zurück zu den reinen Neubuchhandlungen, zum örtlichen Buchhandel von der Mitte ab nach unten.

Ich versage mir nun eine billige Kritik an der Selbstdarstellung, die die kleineren selbständigen Buchhändler im Buchreport, im Börsenblatt und anderswo abliefern - sie sind in der Regel peinlich und ein wenig lächerlich, aber auch rührend naiv und blauäugig. Was betuliche, kulturell recht gebildete Damen da von sich geben, kann trefflich karikiert werden. Das ist aber unfair. Schon eher hätte ich Lust, dem Börsenverein eins übers Haupt zu geben für die seltsam oberflächliche, mitunter heuchlerische Art, mit der der kleine Buchhandel einerseits betüdelt und gepäppelt wird, andererseits sehenden Auges - denn der Börsenverein ist ja nicht blind - dem Zug ins Verderben überlassen wird. Auch hierüber für heute nichts weiter.

Der örtliche Buchhandel hat im mittleren und unteren Bereich haargenau die gleichen Sorgen und Anliegen wie das örtliche Antiquariat. Dies ist meine Hauptthese, ich ergänze sie flugs durch die zweite: Der selbständige untere und mittlere Buch-Versandbuchhandel ist in den Grundfragen und der Absatzstrategie mit dem Versandantiquariat nahezu in Übereinstimmung.

Es gibt bewährte und neue, experimentelle Strategien, um die örtliche Leselust zu steigern und, Hand in Hand damit, den Besuch im örtlichen Buchladen zu befördern. Ebendies gilt für den Absatz von Büchern im Internet. Ich kann überhaupt keinen Unterschied erkennen zwischen Problemen, Anliegen und Strategien des mittleren und kleineren Buchhandels wie auch des mittleren Antiquariats. Die Differenzierungen sind eher unbedeutend, zumal die meisten Ladenantiquare es in jeder Hinsicht den Neubuchhandlungen gleichtun wollen - ich hasse das -, von der Sauberkeit des Fußbodens bis zur Regalgestaltung. Ähnliches gilt im Versand; da die Antiquare eine etwas größere Mißtrauensschwelle beim Versandkunden zu überwinden haben - ein altes Buch ist eben kein eingeschweißtes neues - , sind sie ähnlich pingelig wie ein Neubuch-Versandhändler oder sollten es doch sein. Wohin man blickt: Übereinstimmungen in Bezug auf die Grundfragen und Grundstrategien.

Wenn ich das sage, (berüchtigt als Auffinder der Unterschiede und Vertreter des "halt, nein, aber...") , dann dürfte da was dran sein.

Warum ist der mittlere und kleine unabhängige Neubuchhandel noch nicht darauf gekommen? Nun muß ich meine Worte wägen, um nicht in Fettnäpfchen zu treten, die hier zahlreich aufgestellt sind. Sagen wir so: Der unabhängige kleinere Neubuchhandel hat zwar Interessenvertretungen und Vereinigungen. Diese arbeiten aber nach meiner Einschätzung schauerlich schlecht und rührend ineffektiv. Ich könnte jetzt eine böse Karikaturenserie mit zahlreichen Beispielen aus der letzten Zeit anfügen, versage mir das aber, zumal die Seitenhiebe dem - nach meiner Einschätzung mitverantwortlichen - Börsenverein gar nicht gefallen würden.

Daß uns im Antiquariat, aufgrund der Verbandsstrukturen und, ich kanns dem Leser nicht ersparen, der tiefgehenden und problematischen Pyramidenschichtung unseres Altbuchgewerbes von oben nach unten, die beide zusammen zur Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit der Antiquare führen - daß es uns nicht anders geht als dem kleineren Neubuchhandel, dürfte eine Binsenwahrheit sein.

Können Blinde und Lahme sich zusammen aufraffen und gemeinsam erfolgreich sein? J a !

Ich bin fest davon überzeugt, daß der kleinere unabhängige Buchhandel, Hand in Hand mit den mittleren Antiquaren, eine sehr tatkräftige g e m e i n s a m e Organisation zur Absatzförderung und zur Interessensvertretung in vielen Berufsfragen bilden könnten.

Wir sollten lieber heut als morgen mit der Gründung eines Dachverbands beginnen und S t r a t e g i e n auf örtlicher und überörtlicher Ebene entwickeln und durchziehen.



Für das Foto der "Blind Boys" danke ich jacneed.com, die die Rechte daran besitzen

Dienstag, 9. November 2010

Das neue KVK-Portal > Körperverletzung im Web






Zu einem Bericht im Netzdienst des "Börsenblatts"

Die Neugestaltung dieses bewährten Katalogs, eines der ersten Hilfmittel jedes Antiquars, der es mit älteren Titel zu tun hat, ist ganz schändlich und schrecklich mißraten. Aus Gründen, die wir nur im Bereich pseudomodernen Webseitenschnickschnacks vermuten können, sind die Farben der Schlüsseltexte b l ä ß l i c h abgetönt worden, das Lesen wird bei längerem Verweilen zur Qual. Ich habe diese widerliche Unsitte, gegen die auch veränderte Browsereinstellungen kaum Abhilfe ermöglichen, schon in diversen Portalen unseres Gewerbes und in einigen "modisch" erstellten Kollegenwebseiten tadeln müssen.

Darf ich offen sprechen? Hinter einer Webseitengestaltung, die eines der wertvollsten Instrumente, nämlich unsere Augen, beleidigt und schädigt, kann nur ein verdeckter Sadismus stecken - oder aber im besten Fall eine himmelschreiende Dummheit. Ich lade jeden Nutzer ein, mehrere komplizierte Titel, die auch wirklich genaues Hinsehen erfordern, in Folge mit dem neuen KiT/KVK aufzurufen. Die blaßblaue Abtönung der Schrift ist wieder alle Vernunft, sie ist ebenso gedankenlos wie grausam.

Auch sonst verrät die neue Gestaltung wenig Einfühlungsvermögen.

Drei bis vier der Datenbanken, die unter "Buchhandel" rubriziert werden, sind in Wahrheit Portale für alte, sprich antiquarische Bücher. Es scheint den Gestaltern nicht bekannt zu sein, daß "Antiquariat" eben nicht unter "Buchhandel" zu rubrizieren ist. Buchhandel ist N e u -Buchhandel, und der Alt-Buchhandel läuft nicht unter "Buchhandel", sondern unter Antiquariat. So ist das nun einmal.

Jahr, ISBN, ISSN und Verlag sind so nah an die vorangehenden Felder gerückt, daß keineswegs auf den ersten Blick klar wird, ob sie dem vorangehenden oder dem nachfolgenden Eingabefeld zuzuordnen seien. - Meta-Katalog und Freitext, zwei vielen (auch gebüldeten) Laien nicht bekannte Fachworte, werden munter unerklärt hingeknallt, dagegen ist Raum für einen zu prominent gesetzten Eigenwerbetext über den Suchfeldern. - "Elektron. Texte" darf man nie und nimmermehr so abkürzen. Google Books unter "Elektron. Texte" zu setzen, ist nicht nur teilweise falsch, sondern schon blödsinnig. Google Books ist etwas viel Umfassenderes. Hier muß man anders formulieren. - Zwei "Weltweit"-Überschriften über zwei Spalten zeigen nur, daß der Gestalter elementare Rubrizierungen bei der Webseitenplanung verhunzt hat und nun nachhelfen muß. - Mit blaßgrünem und eine Spur zu klein geratenem Text für die Datenbanknamen kündigt der Gestalter auf der Eingangsseite schon an, welche Grausamkeiten er in der Hauptseite für uns bereithalten wird. Auf zur Hauptseite!

Zum Bild: Bitte beachten Sie, daß dies eine auch im Farbton unveränderte Originalseite von KVK /KIT ist - in der Tagespraxis diejenige Seite, in der besonders genau hingesehen werden muß, um abweichende Auflagen usw. auswählen zu können.

Die blauen Querriegel mit den Namen der Verbundkataloge sind viel zu prominent geraten. Es geht dem Nutzer zunächst einmal darum, die meist mehrdeutig angebotenen Titeldaten so zu bestimmen, daß er auch wirklich seine Auflage, seinen Titel ausgewählt hat. Erst dann kommt die Frage, welchen Verbund er anklicken mag. Dazu braucht er eine deutliche, aber bescheidene Querleiste, mehr nicht. Denn es geht ihm um den Titel. Und die Titel sind, wir wissen es schon, in quälenden, widerlichem Blaßblau gehalten, mit List und Tücke a b g e t ö n t in dem Sinne, daß G r a u w e i ß hinzugefügt wurde, bis der "modische" blasse Schrifteffekt entsteht.

Was beim alten KvK schon problematisch war, wird nun sehr störend: Die Titel laufen zu b r e i t. Sie sind in dieser Länge schrecklich leseunfreundlich. - Man hat sich nicht entblödet, die Sekundenzeit des Aufrufens weiterhin anzugeben. Das ist albern, unnötig wie ein Kropf und angesichts der schnellen Zugriffszeiten heute nicht mehr sinnvoll. Die langsamen Zugriffszeiten im KvK sind, jedenfalls im Normalgebrauch, vorbei. - Unter jedem Feld "nach oben" zu setzen, ist ähnlich kafkaesk und skurril. Leutz, was soll das bitte?

Aus der blaßblauen Folterwerkstatt für Augen kommen wir dann zu den gewohnten Länder- und Verbunddatenbanken, die bekanntlich ihre Eigenheiten haben.Für uns Antiquare am Ärgerlichsten ist der Verzicht des GBV auf eine vernünftige ISBD-Anzeige ohne Zwangsgliederung, die man direkt in unsere CSV-Listen eingeben konnte - bis das seit einigen Monaten nicht mehr möglich ist. Dies freut nur w+h. Aber lassen wir das...

In meinen Webseitenkritiken rede ich sehr direkt. Dahinter steht die Überzeugung, daß durch falsch gestaltete Webseiten mehr Menschen geschädigt, beeinträchtigt und verletzt werden, als durch manchen Verkehrsunfall.

Nachschrift: Der Verantwortliche für das Desaster, Uwe Dierolf, sandte mir eine freundliche Email, die ich im Sinne einer vernünftigen Webdiskretion nicht wörtlich zitieren möchte. Wohl aber fasse ich den Sinn zusammen (und mich an den Kopf):

1.
Das KIT - als federführendes Institut - hat diesen Webstil, und folglich muß der KVK dem Webstil des KIT angepaßt werden ( "neue Gestaltungsrichtlinien, an die wir uns zu halten haben")

2.
Über Geschmack läßt sich nicht streiten.

Gestatten Sie mir eine Übersetzung:

1.
Ich bin Bürokrat und Untergebener. Also f ü h r e i c h a u s, was mir angeschafft wird. Zu verantworten haben das die Chefs. Ich kann für nichts.

2.
Mosern Sie nicht herum, Mulzer. Es gibt viele Leute, die blaßgraue, halbverhehlte Schrift in überbreiten Zeilen wunderschön und praktisch finden.

Meine Überlegung dazu:
Karlsruhe war 150 Jahre lang als staubtrockene Bürokratenstadt verrufen, ein ganzes Land (Baden) hat darüber gelacht. Ich dachte eigentlich, damit sei es vorbei...

+++++++++++++++

Hier nun meine Antwort darauf, die ich im Wortlaut bringen kann:

Sehr geehrter Herr Dierolf,

ich habe mir erlaubt, Ihre rasche Antwort, für die ich danke, als Anhang an den kleinen Blogaufsatz anzufügen. Da ich Emails im Wortlaut grundsätzlich als vertraulich ansehe, geschah das nur sinngemäß.

Ansonsten kann ich Sie beruhigen: Mein Blog ist völlig unbekannt, wird kaum gelesen und dient mir eher als Freizeitvergnügen. Auch das Börsenblatt nimmt in der Regel keinerlei Notiz von mir.

Der Ton meines Beitrags resultiert aus persönlicher Betroffenheit. Sie haben - ich darf es drastisch sagen - mein tägliches Arbeitsinstrument ganz fürchterlich versaut. Dementsprechend reagiere ich.

Ansonsten grüße ich Sie freundlich

Peter Mulzer


Nachschrift: Ich lade die Karlsruher ein, in Sachen Lesbarkeit ihre weitaus bescheidenere, liebenswert "handgestrickte" Konkurrenz, Digibib, zu besuchen. Wenn KvK ihre graphischen Grausamkeiten nicht wieder zurücknimmt, werde ich mit Vergnügen zu Digibib abwandern. Das tut KvK nicht weh, versteht sich. Aber ein wenig nachdenklich machen sollte sie das schon, sollte es nicht?

Die Urheberrechte an dem Unfallfoto gehören autopixx.de. Das Bild wird auf einfache Aufforderung hin entfernt.

Montag, 8. November 2010

Messewesen im Antiquariat - Laufställchen oder Tierschau?



Kollege RFMeyer hat eine gute Nase für Fragen, die bei der Tagesdiskussion unter den Tisch gefallen waren oder schlicht vergessen worden sind. Diesmal nimmt er sich der Reform des Messewesens im Antiquariat an. Das ist mutig, denn seine Erfahrungen mit Innovationen im Antiquariat fielen bisher eher betrüblich aus. Mit Hilfe der werten Kollegen geht ihm im ersten Viertel des Marathonlaufs die Puste aus. Die Mitantiquare schieben ihm Knüppel zwischen die Beine, Kolleginnen aus Kiel und anderswo pieksen ihn mit Hutnadeln, Mulzer, derweilen am Zürichsee zugange, zückt das Fläschchen mit der Salzsäure. Dann ist die Idee tot. Ein kleines Grabmal erinnert an ihre hoffnungsvolle Kindheit. Das war beim Webseitenverbund so, wiederholen sollte es sich diesmal nicht. Ich wünsche unserem Berufstand, daß sich seine Idee einer Neubelebung und Reformierung des Messewesens im Antiquariat eines längeren Lebens erfreuen darf.

Sammeln wir einige Fakten und legen sie vor uns auf den Tisch.

Der Büchersammler ist in aller Regel sehr e i n s a m. Oft will er das auch sein, es ist ihm gerade recht so. Man kennt die Redensarten vom Buch als dem besten Freund, vom Buch, das uns auf die einsame Insel begleitet, vom Buch, das uns nie im Stich läßt, vom Buch des Eremiten.

Wir kennen aber auch die Neigung der Büchersammler zur Grüppchenbildung, zum gemeinsamen Klatsch und Tratsch, zur geselligen Runde nach E.T.A.Hoffmannscher Manier. Im Rahmen der örtlichen Ladenkultur ist das gut zu beobachten - Büchersammler kommen gern zur gleichen Zeit in den Laden, sprechen anscheinend ganz zufällig kurz miteinander - der erfahrene Antiquar aber spürt, wie sie neben dem Durchstöbern der Regale und dem Durchblättern der Bücher offene Ohren und wachsame Seitenblicke haben zu den anderen Kunden hin. Da ist nicht nur Eifersucht und Argwohn zu spüren, sondern auch ein deutliches und starkes W i r - G e f ü h l.

Vereinzelung und Geselligkeitstrieb, Eifersucht und Sympathie bilden also ein sehr starkes Anziehungs- und Abstoßungsmuster. Ich glaube nicht so recht an ein lebendiges Funktionieren der klassischen bibliophilen Vereine oder von Organisationen wie der "Mappe", und was dergleichen Vereinsmeierei mehr sein mag. Natürlich macht den Büchersammlern sowas auch Spaß, aber im Grunde widerspricht die Vereinsbildung der Anziehungs- und Abstoßungsregel. Bücherkunden wollen oder können sich nicht selbst organisieren.

Sie warten aber sehnsüchtig darauf, daß der A n t i q u a r auf sie zukommt und sie in ein Gesellungsmuster hineinführt. Beim Überdenken dieses Sachverhalts winde ich einem der guten Geister meiner Gymnasialzeit, dem Antiquar Evers, ein Kränzlein des Gedenkens - was wäre mir als Jungen in der Oberstufe entgangen, hätte ich nicht jeden Tag um 17 Uhr an der Rotweinrunde in seinem ärmlichen, aber hochromantischen Laden teilnehmen dürfen - Rektoren, Journalisten, alles leicht verrückte, aber grundgescheite Hühner, und hochinteressante alte Bücher, und viel französischer Rotwein...

Die Messe wird gern mißverstanden als "Gelegenheit, sich die Ware persönlich anschauen zu können". Ich weiß nicht mehr, welcher Esel dazu den Begriff des "Haptischen" eingeführt hat, aber lassen wir das. Diese Möglichkeit ist schon wichtig, auch das sogenannte "Gespräch" zwischen Kunden und Antiquar auf der Messe am Stand ist bedeutsam. Allerdings entwickelt es sich, sofern man sich nicht wirklich gut kennt oder ein spontaner "Draht" zwischen Besucher und Antiquar gespannt werden kann, in schrecklich peinlicher und befangener Art. Ich kann nicht sehen, inwieweit solche Verlegenheits-und Blabla-Gespräche vertrauensbildend sein können. Das wird sicher überschätzt. Oft genug sind die Kunden auch enttäuscht, wenn sie dem Herrn gegenüberstehen, den sie sich bislang via Korrespondenz und Distanzverkauf als kompetent und würdig vorgestellt hatten. Wer steht nun, linklisch händereibend, aus dem Munde riechend, mit zwei linken Socken und liebedienerischer Verbeugung vor ihnen - der alte Mulzer. Fehlt da nicht sogar ein Backenzahn? Ach Gott...

Der Antiquar ist kein glatter Versicherungsvertreter, in aller Regel weist er deutliche Seltsamkeiten auf. Ich habe einmal, auf der Gründungsversammlung der Genossenschaft, eine große Menge Kollegen gemeinsam erlebt, ich war erstaunt über die seltsame Menagerie, die sich da gruppiert hatte. Mit solchen Menschen, einzeln sicher originell und komisch (ich war und bin einer der komischsten), macht man vielleicht eine Ausstellung von Kralnegern oder eine Freakschau, aber man stellt sie nicht in eine Messe in helles Licht, und dann auch noch in Massen und nebeneinander.

Nein, das ist keine Kollegenschelte. Wir müssen soviel Selbstkritik haben und erkennen, daß wir liebenswerte, aber überwiegend meschuggene Vertreter des Menschengeschlechts sind, mit denen man alles machen darf - nur nicht sie neben- und nacheinander ausstellen zu wollen.

Der Buchkäufer, der uns auf der Messe besucht, gehört in der Regel recht durchschnittlichen und herzeigbaren Typen an, der originelle, seinerseits auch seltsame Sammler ist ja leider fast ausgestorben. Somit wird die Messe mitunter weniger zu einer Besichtigungstour der Bücher - - sondern der Antiquare. Ich lasse mir nicht einreden, daß die werten Kollegen nicht so sensibel sind, daß sie das spüren. Die Messeteilnahme wird dergestalt zu einer seelischen Belastung für den Antiquar - und zu einem Vergnügen für den Kunden. "Heute gehen wir Antiquare schauen".

Natürlich spricht niemand darüber, denn welcher Antiquar würde sich nicht schämen, solche schwächlichen Empfindungen vor Kollegen zuzugeben. Sie machen alle gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt, das am Rande, mehrere typische Formen, in denen der Antiquar das abregagiert - etwa indem er den Grantligen spielt oder - das war immer mein Part - indem er wortreich und dozierend-freundlich den Aufgedrehten spielt und die Kunden um sich schart. Beides ist natürlich oberpeinlich und durchsichtig.

Nun zu den Überlegungen, wie eine Reform des Messewesens im deutschen Antiquariat aussehen könnte. Ich hab nicht viel Zeit, schreibe diesen Text in der Mittagspause und möchte nur Anregungen in Stichworten geben.

1.
Eine sehr bewährte Gesellungsform, die fast jeden Büchersammler anspricht, ist die Versteigerung. Ihren Urgrund hat sie in der Ladenkultur, wenn neue Ware hereingekommen ist und sich mehrere Kunden, oft Stammkunden, um einen begehrten Titiel streiten - mit Vergnügen. Das muß mit Jagdinstinkt zu tun haben, fast alle Männer und viele Frauen mögen es. Die Bandbreite der Überlegungen kann von einem generellen Überführen des Messeswesens in eine große Versteigerung (bei der sich jeder Händler vorstellt und seine Ware, mit Minimalgebot, anpreist und erklärt, dann selber versteigert) bis hin zu listig geplanten "Einlagen" von versteigerungsähnlichen Veranstaltungen an jedem Messetag.
2.
Alle älteren Herren sehen gern hübsche junge Frauen, je nach Temperament können auch mal junge Männer gefragt sein. Bitte schlagen Sie mich nun nicht dafür, daß es so ist. Ich habe den Menschen nicht erfunden, ich kann nur Tatsachen feststellen. Wenn sich halbnackte junge Damen in den Automessen in Frankfurt oder Genf auf den Automobilen räkeln, dann empfinde ich das als ganz natürlich. Für mich ist seit Evers Zeiten die Verbindung "ältere Herren" und "Erotik" absolut selbstverständlich, was natürlich nicht Schweinigeln auf Stammtischniveau meint, sondern Ästhetik und natürliche Schönheit. Der Gedanke klingt zunächst absurd, wenn wir uns aber in unsere typischen Kunden hineindenken, werden wir überwiegend leicht verklemmte, etwas gehemmte Menschen kennenlernen, die sehr wohl direkte Erotik zu schätzen wissen.

Eine Inkunabel, dargebracht von einer Sportstudentin im Stringtanga, ist für mich das natürlichste der Welt - die perfekte Werbe- und Messeunion.

Für die Erstausgabe des Felix Krull muß dann freilich ein knuspriger Kunststudent her. Lachen Sie nicht, ich meine es ernst. Altes Buch und nackte Haut, das ist die perfekte Union, der ideale Gegensatz, das paßt harmonisch, ist absolut stimmig.

3.
Wir sollten auch über ein Aufbrechen der schrecklichen Gliederung der Messe in quadratmetergroße einzelne Stände nachdenken. Mich erinnert das immer an die schon erwähnte Menagerie-Besichtigung - jeder Antiquar in seinem Gitterställchen. Wie riecht er? Hat er wirklich einen Buckel? Nuschelt er sächsisch oder radebrecht er schweizerdeutsches Hochdeutsch? Trägt er wirklich Wildlederschuhe? Ist er so dumm, oder tut er nur so? Er sollte wirklich mal wieder abnehmen...

Die Abschaffung der Einzelstände wäre auch gut zur Bekämpfung jenes Laufställchen-Eindrucks, der sich respektlosen Besuchern aufdrängt. Denn unser Vergleich mit der Menagerie der Raubtiere ist ja noch viel zu gutherzig - ganz überwiegend handelt es sich um große Babys in großen Laufställchen.

Wollen wir d i e s e n Eindruck bei unseren Kunden erwecken? Fördert das den Gedanken des Büchersammelns?

Es sind mehrere Arten des Aufbrechens der unseligen abgezirkelten Standkultur denkbar. nicht ganz einfach für Antiquare, deren Gemeinschaftsgeist bekanntlich gegen Null strebt. Aber es ist machbar.

4.
Die Messe trägt noch weitere ungute Elemente in sich, die wir in eine Reformierung des Messewesens im Antiquariat mit einbeziehen sollten. Wir müssen da sprechen über die Rivalität, über die Schichtung unseres Gewerbes, über die eher rührenden Newcomer neben dem Protzenkollegen mit reichgefülltem Bücherportefeuille, über den strohdummen, aber geschäftstüchtigen Drängler und den grundgescheiten, aber linkischen Schüchternen... Alles das wirkt als unsichtbare, aber mächtige Abstoßungen und Anziehungen in jeder Messe. Soll es einfach hingenommen werden als gottgegeben oder sind hier Einfälle, neue Ideen gefragt, die sowas abmildern?

5.
Die Werbung für das Sammeln alter Bücher auf Messen ist, wie von deutschen Antiquaren nicht anders zu erwarten, bisher unsäglich linkisch, unzulänglich und als reine Alibifunktion unternommen worden. Hier eröffnet sich ein ganzes Füllhorn von Möglichkeiten, die nur durchdacht und dann mit leichter, mutiger Hand in Angriff genommen werden müssen. Nicht kleckern, sondern klotzen ist da die Devise.

Bevor ich auf die vielfältigen Parallelen und Anregungen aus dem Bereich des Experimentaltheaters zu sprechen komme, muß ich abbrechen. Schweizer sind leider sehr pünktlich.


Die Aktfotos (Urheberrecht liegt bei H.Gross) zeigen den nach Konzept Mulzer belebten Stand des Antiquariats Seeblick auf der Züricher Büchermesse 2012

Sonntag, 7. November 2010

Neue Wege der Fachpublizistik im Antiquariat





Schon als Student war ich ein treuer Leser der Börsenblatt-Beilage "Aus dem Antiquariat" und eine kleine Leserzuschrift, in der ich den Kollegen Tenschert verteidigte, dürfte, zeitgleich mit Antiquar Feucht/Allmendingen, einer der ältesten AdA-Beiträge von Kollegen sein, die heute noch leben. Damals hatte mich der betuliche Stil der Redakteurin sehr geärgert und AdA war für mich das Musterbeispiel eines eiskalten, hochnäsig und hochtrabend geführten Greisenblattes. Vieles davon hat sich bis heute erhalten, die Neigung Björn Biesters, menschliche Gefühle im journalistischen Tiefkühlfach aufzubewahren, macht das AdA für mich bis heute zum Musterbeispiel eines unpersönlichen Fachblatts. Da die persönliche Begegnung mit der alten Redaktion dann aber sehr herzlich verlief, wir über viele Fragen einer Meinung waren, ich eine faszinierende Fachfrau kennenlernen durfte, sah ich AdA fortan mit stiller Rührung an. Meine Hoffnung auf einen neuen Stil unter einem neuen Redakteur erwies sich schnell als illusorisch. Daß ich es leider mit Björn Biester "nicht kann", ist in seinem Börsenblatt-Netzdienst an vielen Stellen nachzulesen. Unterschiedlichere Temperamente lassen sich gar nicht denken, während ich echauffiert in der Tropenhitze am Amazonas schreibe, sitzt er in ungerührt an den Fenstern einer ungeheizten britischen Schloßhalle und tippt in Fingerhandschuhen. So ist dann auch seine Fachzeitschrift.

Man weiß schon, wie sympathisch mich der Stil, die Umgangsformen und die spontane Herzlichkeit der Antiquare in den USA berühren. Das geht auf die Zeiten zurück, in denen ich die Vorbereitungsforen zur US-Genossenschaft "Tom Folio", zur dortigen Datenbank und zu anderen Gemeinschaftsleistungen in weit über tausend Postings mitlesen durfte, in der - vergeblichen - Hoffnung, irgendetwas davon in die deutsche Genossenschaft übertragen zu können. Seither sehe ich, übrigens mit einigen Abstrichen auch die britischen und niederländischen Kollegen, die Antiquare des Auslands als Vertreter einer sympathisch-offenen und freundschaftlichen Zunft. Fürchterlich und für mich ganz unbegreiflich ist die zänkische Kälte, das widerliche Mißtrauen, die ränkevolle Rivalität, die mir in deutschen Foren entgegenschlägt, nur in Frankreich ist das Klima im Antiquariat noch eisiger und infamer. Ich habe keine rechte Erklärung für dieses Phänomen, weiß nur kraft meines guten Gedächtnisses, daß dieser schreckliche "deutsche" Ton im Antiquariat schon in Zeitschriften um 1900 und um 1930 herrschte.

Mit Grauen erinnere ich mich an jahrelanges Gezänke um 1890 über die Frage, ob und wie und wann der deutsche Antiquar oder die deutsche Buchhandlung "modernes Antiquariat", das damals Ramsch hieß, führen dürfe und soll und ob das ehrenrührig sei oder nicht. Als sich dann noch herausstellte, daß es meist jüdische Kollegen waren, die Pro-Ramsch argumentierten, schlichen sich sofort auch antisemtische Töne ein. Das hatte ich vor etwa 30 Jahren eher zufällig im Zusammenhang mit Karl Mays Editionsfragen in Buchhandelsblättern recherchiert, aber heute noch würgt mich der Ekel über den Umgangston unter den deutschen Antiquaren vor über hundert Jahren. Das alles hat sich offenbar nicht geändert. Jene Idylle, die uns aus manchen historischen AdA -Aufsätzen anblickt, hat es nur in besonderen Zirkeln gegeben. Ansonsten herrschte gehässiger Kleinkrieg in widerlicher, verbohrter Animosität. Sind deutsche Antiquare so?

Jede Fachpublizistik zum Antiquariat im deutschen Bereich muß dieser ebenso unglücklichen wie unerfreulichen Stimmungslage Rechnung tragen. Am besten läßt man die Antiquare in Ruhe, berichtet ü b e r sie, aber nicht m i t ihnen. Immer wieder haben sich Medienprojekte bemüht, Antiquare aktiv einzubeziehen. Von unendlicher Peinlichkeit getragen waren die Versuche des mir immer sympathischen Stormchens, einzelne Kollegen aus ihrer giftig-trotzigen Reserve zu locken und einzubinden in seinen "Antiquariatsanzeiger", man muß nur zwischen den Zeilen lesen und einige Hintergrundinformationen haben, um das mitleidsvoll zu erkennen. Auch RFMeyer wurde beim Versuch, einen Webseitenverbund mit minimaler gemeinschaftlicher Publizität zu gründen, flugs in die Ecke des sich anschmusenden und vergeblich werbenden Kollegen gedrängt. Mit tiefem Grauen erinnere ich mich an den Stil der Beiträge im Xing-Forum, für mich streckenweise ein Blick in die Abgründe zänkischer, übelwollender, mißtrauischer Kollegen.

Da jeder Journalist aber den unwiderstehlichen und guten Antrieb verspürt, den Gegenstand seiner Arbeit mit einzubeziehen in den Prozeß der Berichterstattung, müssen wir uns überlegen, wie Fachpublizistik für das Antiquariat denn geleistet werden kann im deutschen Bereich. Die Lösung kennen wir aus der Berichterstattung der ARD aus der DDR. Lothar Löwe an die Front! Wenn es schier unmöglich erscheint, einen kooperativen, vertrauensvollen und offenen Umgangsstil mit denen zu entwickeln, über die wir zu berichten haben, dann behandeln wir sie eben als gehemmte, unzurechnungsfähige, verhinderte oder sonstwie sprachlose Wesen, f ü r d i e der Fachpublizist zu sprechen hat. Darin liegt nicht unbedingt eine Herabwürdigung der Antiquare, eher die Erkenntnis - daß sie es zur Zeit eben nicht anders, nicht besser wissen, verstehen, begreifen können,und - daß wir als Fachpublizisten für sie zu schreiben haben.

Solche Betrachtungsweise eines ganzen Gewerbes trägt auch dem ganz absurden (in anderen Berufen undenkbaren) Umstand Rechnung, daß die Schichtung des Gewerbes vom braven, einfachen Flohmarkthändler über den halbverblödet mit w+h-Materialien neuere Titel eintippenden mittleren Internet-Antiquar bis hin (nicht unbedingt bis "hoch") zu den grundgescheiten Fach- und Spitzenantiquaren reicht. Nur eine verantwortungsvolle Fachpublizistik ist in der Lage, diese Grenzen und Schichtungen zu überschauen, sie nach Kräften zu ordnen und somit a l l e n zu helfen. Gerade an dieser Aufgabe hat sich Biester und sein AdA bisher die Zähne ganz vergeblich ausgebissen, er taumelt in Projekten und Themenwahl ziel- und hilflos zwischen kleinen Ebay-Kollegen und hochmögenden Wiener Versteigerern hin und her. So vernünftig und klug die Überlegungen auch sein mögen, fast nie bezieht er die groteske Schichtung des Gewerbes mit ein, verprellt dadurch immer einen Teil der Fachadressaten und vertieft die Abgründe noch, etwa durch die Gestaltung seiner Schulprojekte.

Es geht nicht um Bevormundung. Der Redakteur muß es einfach besser wissen. Wo er aber keine bessere Übersicht hat als der durchschnittliche Antiquar, dort hat er das auch zuzugeben. Fachjournalisten leben gefährlich, denn sie haben ein extrem - wenn auch nur punktuell - sachkundiges Publikum vor sich. Zwei Beispiele. Der Einfluß der Versteigerer auf das Antiquariat ist weitaus größer, als das gemeinhin angenommen wird. Trotzdem wird darüber nicht berichtet (auch aus der Feder des langjährigen AdA-Auktionsexperten Zur Mühlen habe ich nicht viel darüber gelesen), weil nur wenige Antiquare wirklich wissen, wie ein deutscher Buchversteigerer intern arbeitet. Eher durch Zufall gewann ich hier gründliche Einblicke. - Im Ladenantiquariat örtlicher Prägung hatte sich eine Menge wichtiger Erkenntnisse zum Verhalten, zur Psychologie usw. des Büchersammlers beobachten lassen, über die der Internetantiquar der Jetztzeit schlicht und ergreifend nicht mehr verfügt. Altgediente Ladenantiquare haben dieses Wissen selbstverständlich parat. Wie schwierig muß es für den reinen Internet-Kollegen sein, sich auch nur annähernd in diese fast vergangene Welt hineinzuversetzen. Wir haben unsere Kunden noch intim kennengelernt! Man muß auch wissen, wie das riecht, wenn der Kunde ins Schwitzen gerät, weil er einen Titel unbedingt haben will, wie seine Täuschungsmanöver sind, seine Tricks, sein Verhalten und Argumentieren bei Mängeln, Preisnachlässen. Nur schon die Psychologie des Konvolutverkaufs... Auf Messen kommt das alles nur noch gedämpft und kontrolliert herüber. Ort der Erkenntnis war der eigene Laden!

Nach diesen eher selbstverständlichen Feststellungen kommen wir ans Eingemachte. Fachpublizistik im Bereich des Antiquariats hat auf zwei Beinen zu stehen, wenn sie erfolgreich arbeiten will: Sie dient dem Antiquar ebenso wie dem Büchersammler.

Hier werden von den meisten Fachmedien die gröbsten Fehler begangen.

Die Todsünde besteht darin, daß unentwegt und wider jedes bessere Wissen das Wolkenkuckucksheim, das Nebelgebilde eines "Bibliophilen" aufrechterhalten wird. "Der Bibliophile", auch "ernsthafter Büchersammler", "Messekunde", "Versteigerungsbesucher" genannt, solle, so geht die Mär, generell und querbeet "teure Bücher", "seltene Bücher", "bibliophile Bücher" sammeln. Er baue sich mit Titeln über etwa 50-100 Euro eine "ausgesuchte bibliophile Büchersammlung" auf, man könne ihm immer "seltene Titel anbieten", und was der frommen Mären mehr sind.

Dieser Büchersammler ist nahezu ausgestorben, vielleicht hat es ihn bei näherem Hinsehen fast nie gegeben.

Die Wahrheit ist viel mühsamer darzustellen: Fast jeder ernsthafte Büchersammler sammelt nur oder ganz überwiegend Titel seines F a c h bereichs. Hier beginnen die begrifflichen Schwierigkeiten schon, denn wir haben sehr oft nicht eines der klassischen Fachgebiete vor uns. Wir erhalten vielmehr ein kompliziertes Netz von sich teilweise überlappenden, auch wild und unlogisch querlaufenden Themenwünschen, Bücherarten, Wert- oder Einbandweisen, Illustration oder Erhaltungszustand, Erscheinungszeitraum oder Buchhandelsart (siehe "Heftchen"), religiöse oder philosophische Tendenz, sexuelle Veranlagung, Regression (Mädchenbücher des Biedermeier, alle Karl May, alle "Trotzkopf"-Bände) können bestimmend sein.

Das alles hat mit dem klassischen "Bibliophilen" sehr wenig zu tun. Denn es wird überwiegend "sinnfrei" gesammelt, aus in Wahrheit eher dumpfen Antrieben. Gerade darum regen mich die betulichen randwissenschaftlichen Ergüsse, mit denen uns AdA seit einem halben Jahrhundert quält, so auf: Das hat fast nichts zu tun mit den echten, wirksamen Antrieben in Gehirn und Seele unserer Kunden. In dem Augenblick, wenn sich ein Büchersammler hinsetzt, um - ein anonymisiert gemeintes Beispiel - für Biester eine schöne wissenschaftliche Abhandlung über Struwwelpeter-Ausgaben zu schreiben, da verfälscht er den echten Antrieb, die wirkliche Grundlage seines Sammelns fast immer. Wie mag es in Wahrheit in der Seele eines Menschen aussehen, der diese schrecklichen Frankfurter Sadomaso-Ausgeburten an "Kinderbüchern" mit Hingabe gesammelt hat.

Ähnlich sieht es in vielen Sammelbereichen aus. das muß jeder für sich ergründen, Psychoanalytiker werden mir rasch sagen können, warum ich von Kindesbeinen an ausgerechnet alte Eisenbahnkursbücher sammle. In Klammern sei bemerkt, daß der Fachantiquar die wirklichen Antriebe seiner Sammelkunden kennt - oder doch kennen sollte.

Wie auch immer, zweierlei ist festzuhalten. Erstens sollte die "wissenschaftliche" Kunde der antiquarischen Sammel-Themen nicht Gegenstand der Publizistik im Antiquariat sein. Vielmehr - ich hatte lange mit der alten Redakteurin von AdA darüber diskutiert - sollte das Gegenstand einer buchwissenschaftlich-buchhistorischen Zeitschrift sein. Die fixe Idee von AdA, a u c h ein solches buchhistorisch-wissenschaftliches Fachblatt sein zu wollen, hat nun schon zwei Generationen von Antiquaren und Büchersammlern zum Gähnen, zur quälenden Langeweile geführt. Die Redaktion von AdA sollte vor ihrem inneren Auge bei der Vorstellung, wie sie von der geneigten Leserschaft angeblickt wird, in ein Meer von sperrangelweit gähnenden Mündern schauen. Noch heute ist das spezielle Honiggelb der AdA-Umschläge früherer Zeiten für mich das Synonym für G ä h n e n - ich gähne inzwischen sogar bei Vorhängen oder Polsteresesseln in dieser Farbe.

Wer ein gutes Gedächtnis hat, der erinnert sich, neben dem durchaus pfiffigen Antiquariatsanzeiger in Leporello-Papierform der früheren 90er Jahre, an eine in Hannover erschienene, recht kurzlebige Fachzeitschrift für Antiquare und Büchersammler. Sie war formal ungeschickt gestaltet, trotz wunderschöner Farbfotos, brachte aber eine Reihe von Aufsätzen zu Sammel-Fachthemen, die exakt so "heruntergefahren" waren, wie es fast allen Fachaufsätzen in AdA gutgetan hätte - und noch guttun würde.

Warum tun sich die Fachmedien im Bereich Antiquariat so schwer? Trotz der erwähnten massiven Probleme, über, mit und für a l l e Antiquare zu schreiben, ist es die andere Seite, die der Kunden, die weitaus größere technische Ansprüche stellt an jede Redaktion. Denn es müssen nolens volens a l l e Sammelgebiete beobachtet werden. Das mochte noch angehen, als sich die querzulesenden Referenzmedien auf Fachzeitschriften beschränkten. Heute aber gibt es auch für entlegene Büchersammelgebiete oft mehrere Blogs, Foren, Portale, Diskussionmsmedien. Es macht keinen Sinn, über die Welt der Büchersammler berichten zu wollen, ohne über jedes dieser rd.100 überwiegend klar abgegrenzten Buchsammelthemen einen ungefähren Überblick aufrechtzuerhalten. Das ist weitaus mühsamer als die Berichterstattung über das Antiquariat von der Verkäuferseite her.

So lautet aber der Anspruch: Ein Fachmedium im Internet-Zeitalter, das über "Antiquariat" berichten will, muß Antiquare und ihre Kunden dergestalt zusammenführen, daß beide regelmäßig und gern zurückkehren zu dem Portal, in dem "ihre" Herzenssache verhandelt wird.

Noch ein, zwei technische Anmerkungen. Es gibt nur noch die Möglichkeit einer elektronischen Publikation, die Papierform muß in diesem Sonderfall verschwinden. Das Antiquariats-Medium der Zukunft lebt nämlich von der Vielzahl der von dort aus direkt verlinkten Informationsquellen. Jeder Besucher, ob Altbuchhändler oder Büchersammler, muß wissen, daß er ü b e r diesen Knotenpunkt des neuen Antiquariatsmediums hinkommt zu Fundstellen, Nachweisen, Listen jeder Art. Auch muß er direkten Zugang (mit Suchfeld) zum ZVAB, zu Abebooks, zu Amazon haben. Alles das ist nur möglich in elektronischer Form. Die Gestaltung allerdings sollte konventionell sein, um den überwiegend älteren Kunden Rechnung zu tragen - keine Tricks, keine aufklappenden Textblasen, nichts Hüpfendes, Laufendes, Zuckendes, und jene harmonischen Farben verwenden, die das Alter vorzieht. Kein Kloschüssel-Lindgrün, kein arterielles Blutrot, keine infamen "modernen" blaßgrau-Texte. Bitte nicht...



Das Foto zeigt Karl May um 1875 als Redakteur ("Beobachter an der Elbe" usw.)

Montag, 1. November 2010

"Better World", das Haus der Bücher und eine neue Genossenschaft





Björn Biester erfreut uns heute wieder mit einigen liebevoll gesammelten Lesefrüchten.

Mir fällt auf, wie sorgsam er jede eigene Stellungnahme vermeidet. Nicht einmal zu ironisch-listigen Andeutungen, nur für reifere Leser verständlich, ringt er sich durch. Das ist schade. Neutralität wirkt immer auch etwas kühl, Frost macht sich breit, wir ziehen uns Handschuhe und dicke Wollsocken an. Gemütlichkeit kommt da nicht auf, auch kein Heimatgefühl.

So sind wir für jedes persönliche Wort dankbar, das wenigstens dem Kommentarteil etwas Anheimelndes verleiht. Der scheint aber zur Zeit den mitunter etwas weltfremden Edelantiquaren vorbehalten zu sein. Wir hören ein weiteres Mal das Märlein vom Segen der braven Listenarbeit, von der Kundenbetreuung und der lohnenden Messeteilnahme. Die fachkundigen Leser aber können mit solchen Predigten wenig anfangen, sofern sie nicht zu den Edelantiquaren gehören, keinen Zugang zu auserwählter Sammlerware haben, keine grundgescheiten Kunden, die bereit sind, sie zu belehren...

Mich regt die elitäre Sichtweise solcher Ratgeber fürchterlich auf. Das kleine Grüpplein der 30 Spitzen- und Fachantiquare braucht solche Ratschläge nicht, die wissens ohnehin - und den anderen 570 ist damit höchstens in den Bankrott und zu Hartz 4 weitergeholfen.

Wir haben für unsere 30-50 Spitzenleute recht gute Weiterbildungs- und Kontaktangebote, aber für die 550-570 anderen Kollegen haben wir - nichts. Keine berufskundlichen Schulungsangebote auf breiter Grundlage, keine Auskunfts- und Gemeinschaftsdienste, keine unterstützenden Maßnahmen. Es reicht eben nicht, wenn Edelantiquare darauf verweisen, wieviel Zeit sie für Kollegen haben, wenn sie um direkten Rat angegangen werden, am Problem ändert auch die Tatsache nichts, daß viele Antiquare für kleine Kreise, besondere Grüppchen, separate Webbündnisse oder Datenbankprojekte regelmäßig Zeit und Mühe aufwenden.

Damit werden immer nur Teilreparaturen vorgenommen. Aber niemand denkt daran, den maroden Wagen endlich einmal in seine Einzelteile zu zerlegen, ihn durchzuölen, brüchige Teile auszutauschen, notwendige Anbauten vorzunehmen.

Die Situation im deutschen Antiquariat ist bis zum Abwinken bekannt. Da aber viele Antiquare eine geradezu heilige Scheu davor haben, die Dinge beim Namen zu nennen, ist es immer wieder nützlich, wenn man als Blogschreiber die Müllabfuhr selber übernimmt und ein weiteres mal festhält: Wir haben vier, wenn nicht fünf Berufsverbände, Clubs, Grüppchen in unserem kleinen Gewerbe, das - mit Österreich und der Schweiz - nach Biesters vermutlich richtiger Schätzung nicht mehr als 600 Kollegen umfaßt.

Das ist grotesk, könnte aber trotzdem ganz anregend sein und gut funktionieren, wenn nicht - einem Gesetz der Serie folgend - eine dieser Gruppen skurriler wäre als die andere. Die Beteiligten wissen das auch, sagen es aber nur in nächtlichen Telefonaten und wissen dann tagsüber - nichts mehr davon.

In erfreulicherem Zusammenhang muß Kollege Helmer Pardun aus Radebeul ins Spiel gebracht werden. In seinem liebenswerten, gut und mit Herz geschriebenen Aufsatz ist er gestern über seinen Schatten gesprungen und hat auf jedwede theoretische Analyse verzichtet. Dafür gebührt ihm Lob, welches höchstens dadurch gedämpft wird, daß die Alpträume und Gehirnwürmer, die er uns bisher mit seinen volks- und sozialwissenschaftlichen Regelwerken verursacht hat, immer noch nachwirken.

Im Augenblick brauchen wir ein gutes Stück marktwirtschaftlicher Theorie. Denn was uns Susan Halas über "Better World" berichtet, ist hochaktuell und wegweisend für unsere hausgemachten deutschen Sorgen. Wir können, so glaube ich, einige Umsichtvorausgesetzt, das "Better-World"-Modell in den deutschen Bereich übernehmen. Keine Sorge, ich serviere nun nicht einen Neuaufguß meines "Hauses der Bücher", das wäre nachgerade langweilig, sondern es ersteht aus dem Grabe - eine Neuauflage der Genossenschaft. Warum, mit welchen Folgen, das sollen Sie gleich hören.

Eine technische Anmerkung zuvor. Während ich vorhin mit Vergnügen den langen - brillianten - Aufsatz von Susan Halas in der "AE Monthly" überflogen hatte, war mir eingefallen, was ich immer wieder am Rande feststellen muß, es aber nie so recht wage zu sagen: Die große Mehrheit unserer Kollegen liest längere Texte in Englisch nicht fließend. Es hat keinen Sinn, daß wir uns da was vormachen. Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn wir hier so tun, als könnte "man" im Antiquariat ja doch englische Texte fließend lesen. Soll ich schätzen? 50 können es fließend und ohne Wörterbuch, so daß es Spaß macht, weitere 50 eher langsam und mit Nachschlagen einiger Wörter - die 500 anderen haben so bescheidene Lesefähigkeiten im Englischen, daß sie sich an die Lektüre, die uns Biester anbietet, erst gar nicht machen wollen.

Wenn man das weiß - und Müllmann PM spricht es aus -, dann ist es keine gute Informationspolitik, die Texte nicht zu übersetzen. Ende der Umleitung, zurück zu Susan Halas.

Räumen wir zunächst einige spezifisch amerikanische Seltsamkeiten beiseite. In den USA werden, man kennt das, mit größter Unbefangenheit moralische und religiöse Anliegen vermischt mit kruder, nackter Geschäftstüchtigkeit und Ertragsgier. Das fällt einem US-Bürger erst gar nicht auf, vermutlich wundert er sich eher darüber, wenn es fehlt. Für uns Deutsche aber ist es allemal unerträglich, wenn auch nur leise Anklänge an soziales Engagement, religiöse oder moralische Fragen Hand in Hand auftreten mit geschäftlichen Zwecken. Das geht bei uns nicht (und es ist gut so). Deshalb blenden wir Unsäglichkeiten wie "buy books do good" oder "every purchase supports global literacy" ganz einfach aus. Diesen Teil der Geschäftsphilosophie des Unternehmens, mitsamt dem schrecklich anschmusenden Namen "better world", den vergessen wir am besten ganz schnell. Das würde bei uns ein s c h m i e r i g e s Image erzeugen.

Ebenso erscheint uns die Methode, sich auf Vor-ISBN-Bücher nicht weiter einzulassen oder sie jedenfalls nicht als einen der Schwerpunkte zu behandeln, als grotesk und des Antiquariates unwürdig. Aber auch da geht man in den USA ganz anders heran, weitaus lockerer. In Europa wären Ansätze dieser Art ebenso komisch wie finanziell blödsinnig. Es mag in Deutschland noch angehen, wenn Neubuchaufkäufer (in Berlin und anderwo) auf dem Fernweg nur dann automatische Preise anbieten können, wenn sie via ISBN eine eindeutige Wertbestimmung vornehmen wollen. Sonst aber würde jedes, aber auch wirklich jedes Unternehmen nach Art der "Better world" bei uns auf zwei Beinen stehen müssen und wollen, einmal auf dem der Vor-ISDN-Titel und zum anderen auf dem der neueren Bücher nach ca.1960 /1970. Aus praktischen, ebenso aber auch aus Imagegründen.
Und noch ein Drittes. Das muntere System aus Kundenzugang im Lager, einem Teilangebot in Ebay usw. entspricht nicht dem deutschen Ordnungsgefühl. In Deutschland würde man - zurecht und aus gutem Grund - ein sehr strenges Lagerhaltungssystem nach Knoe/Libri/Amazon-Vorbild einrichten und aufrechterhalten und sehr klare Absatzwege vorschreiben und dann auch durchhalten. Uns ist die Gabe des gemäßigten - und funktionierenden! - Chaos nicht verliehen, das die lockeren Amerikaner da mit Bravour vorexerzieren, auch in ihren konventionellen Riesenantiquariaten.

Diese drei Punkte sind interkulturell unterschiedlich zu sehen. Ansonsten gibt es nur Gemeinsamkeiten. Leider durchaus vertraut sind uns inzwischen etwa die Sorgen von Susan Halas über die "kulturelle Entblößung", der sich allzu entsorgungsfreudige Bibliotheken schuldig machen könnten, verführt durch das Angebot "wir nehmen alles und holen es ab". Eine ganze Kette von Skandalen teils übelster Sorte - ich sage nur: Eichstätt - lehrt uns: Das kann in Deutschland ebenso geschehen. Aber es ist, und das will ich nun ganz deutlich sagen, allmal nicht die Aufgabe von uns Antiquaren, über das Kulturgut im unteren und mittleren Bereich zu wachen. Wir haben schon genug damit zu tun, Spitzenware - o Gott: Donaueschingen - vor dem Untergang zu bewahren und uns da intern etwas Anstandsgefühl beizubringen. Kulturelle Fragen aber müssen ansonsten die Bibliotheken (und der Blog von Dr. Graf) selber erledigen.

Nun kommen wir zur Kernfrage.

Ein System dieser Art wird in Deutschland ebenfalls entstehen. Ich weiß, daß sie anläßlich meiner ersten Vorstellung des Modells vor über 10 Jahren in der Hess-Runde bei KochNeffÖttinger, die ich direkt als möglichen Träger benannt hatte, mein Projekt in Stuttgart durchgerechnet hatten und zum Ergebnis gekommen waren: Es lohnt n o c h nicht.

Wie beim "Bücher-Michel" scheinen meine alten Aufsätze sorgfältig archiviert zu werden von Stellen, die nicht wünschen, daß man von solcher Aufbewahrungstätigkeit allzuviel Kenntnis nimmt. Wir dürfen also damit rechnen, daß das Modell, in den ersten Ausarbeitungen von mir auch als "Wölki-Modell" bezeichnet, irgendwann fröhliche Urständ feiert. Ob das ein privater Investor (wie in Berlin), ein Kollege (wie Wölki), ein Grossohaus, Amazon oder wer auch immer durchzieht, ist weniger wichtig als die Gretchenfrage, ob wir Antiquare uns dagegen wehren könnten.

Wenn ich mich an das teils etwas hysterische und würdelose Geschrei mancher Kollegen anläßlich unserer bescheidenen deutschen Oxfam-Filialen erinnere, dann müßten die gleichen Antiquare jetzt schon schlaflose Nächte haben aus Angst vor dem dann kommenden neuen Gebilde.

Die Sache selber halte ich für durchgerechnet; mit den richtigen Ankaufsquellen und vor allem sehr viel deutscher Organisation würde sich die neue Krake lohnen und sich rasend schnell ausbreiten. Es gibt bestimmte Gründe (über die man diskutieren sollte, dringendst) , die dafür sprechen, daß der deutsche Altbuchmarkt besonders anfällig ist für mein altes Grundmodell, besonders wenn die Schwerpunkte, anders als bei "Better world", mehr ins Retrospektive verlegt werden und ein Auktionshaus (im Netz und/oder konventionell) angegliedert wird.

Und nun bitte ich um Fassung und würdevolles Benehmen. Wir treten an das Grab eines fast schon vergessenen Wesens und bereiten uns darauf vor, es mit allerlei weisen Sprüchen neu zu beleben: Genossenschaft, erstehe auf und lasse dich neu gestalten!

Es gibt nur e i n e n Weg, um dem uns drohenden "Better world"-Konzept zu begegnen: Das "Haus der Bücher" muß in unserer eigenen Initiative gegründet werden, die Trägerschaft k a n n nur in den Händen einer Genossenschaft liegen.

Die Edelantiquare sollen nicht glauben, daß sie von einem privat geführten Grossohaus für alte Bücher nicht beeinträchtig werden könnten! Vor allem aber sind es die Kollegen der unteren und der Mittelschicht, die ausgetrocknet und ihrer Existenz beraubt würden. Wir wissen alle, wie knapp bei vielen Kollegen jetzt schon die Rendite aussieht. Ein privatwirtschaftlich geführtes "Haus der alten Bücher" würde ihnen mit langsamem Würgegriff die Luft abstellen, jeden Tag ein bißchen mehr...

Ich will Ihnen erklären, warum die Trägerschaft eines solchen Hauses nur genossenschaftliche Form haben kann: Schon nach kurzer Zeit wird der Grossohaus in Gefahr kommen, die Interessen einzelner Antiquare oder der Antiquare überhaupt zu beeinflussen, zu beeinträchtigen. Hier müssen dann komplizierte Regelungen und Abwägungen erfolgen, die nur Sache der Antiquare als Gesamtheit sein dürfen. Im Aufsichtsrat des Bücherhauses sitzen also die Antiquare selbst.

Das hat mit Dirigismus oder gar Sozialisierung nichts zu tun. Vielmehr sollten wir das ähnlich einer Kartellbehörde sehen, die ja auch versucht, einen Markt vor Gefährdungen zu schützen, ihn behutsam zu lenken. Das alles ist ein wenig die Regel de tri und alles andere als einfach. Erstens muß das neue Haus stark genug sein, um berufsfremde Einflüsse (hier ist das Adjektiv wirklich angebracht) abzuwehren. Neben einem schon bestehenden starken genossenschaftlichen Haus macht eine ernstzunehmende Firma kein zweites auf, tut sie es doch, kann sie bekämpft werden. Zweitens kann das neue Haus allen Antiquaren jeglicher Schicht fürchterliche Routinearbeiten abnehmen und ihren Qualitätsstandard wirklich erhöhen, zumal wenn das genossenschaftliche Haus strikt als anonymer Leistungsvermittler auftritt. Drittens können, nicht durch Kartellabsprachen, sondern durch schiere Marktmacht, gewisse Preisregularien durchgesetzt werden, die die Antiquare selber beschließen. Viertens kann der Privat- und Schleichhandel an der Steuer vorbei endlich einmal gut bekämpft werden.

Die neue Genossenschaft muß eine sehr niedrige Eingangsschwelle haben, vollkommen transparent arbeiten, durch ein Parlament aller Antiquare verwaltet werden. Ich rate aufgrund der gemachten Erfahrungen dazu, die neue Genossenschaft zwar als Träger zu institutionalisieren, die praktische Verwaltung des "Hauses" aber einem Verein zu übertragen, der flexibel reagieren und demokratisch diskutieren kann.



Mein Dank für die Fotos aus dem Betrieb von "Better world"gilt AE Exchange, denen das Urheberrecht gehört


Dienstag, 26. Oktober 2010

Offener Brief an Dr. Biester




Offener Brief an Dr. Biester, Redakteur des Börsenblatt-Netzdienstes, Abteilung Antiquariat

Sehr geehrter Herr Redakteur,

bitte hören Sie auf, uns dergestalt zu veralbern! Sie führen uns eine Fundstelle an, die genau 14 (vierzehn) Buchseiten aus einem Sammelband umfaßt:

Torsten Sander, "Schwartenhändler und Literaturverbreiter. Zur Poetisierung des Antiquariatsbuchhandels in Wilhelm Raabes 'Ein Frühling' (1857/1872)"

in:
Signaturen realistischen Erzählens im Werk Wilhelm Raabes: Anläßlich des 100. Todestages [Broschiert]
Dirk Göttsche (Herausgeber), Ulf-Michael Schneider (Herausgeber)
Preis: EUR 39,80

und muten uns also zu, daß wir für 14 (vierzehn) Buchseiten 40 Euro berappen sollten. Je Buchseite macht das läppische 3,50 Euro.

Was denken Sie sich eigentlich dabei? Damit bewegen Sie sich auf dem Niveau unseres großen Vorsitzenden Koestler, der mich coram publico verspottet hatte, weil ich die von ihm sanktionierte Abzocke durch das System der verhehlten Auktionspreise nicht so stumm, dumm und ergeben hinnehmen wollte wie meine Kollegen.

Sie machen uns noch die Zähne lang und preisen den Verfasser: "...seit Jahren regelmäßiger Beiträger der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat" ...hat einen klugen und sehr lesenswerten Beitrag über ...geschrieben".

Darf ich Ihnen einen kleinen Hinweis für ähnliche kommende Fälle geben? Es steht einer Netzzeitschrift gut an, wenn sie bei kleineren Texten in immens teuren Büchern den V e r f a s s e r und den Verleger um das Sonderrecht bittet, diese 14 Seiten im Rahmen der Berichterstattung als PDF oder sonstwas den Lesern zur Verfügung stellen zu dürfen.

Dann freuen wir uns. Ihr jetziges Vorgehen aber ist (auch weil die Bibliotheken solche Titel erfahrungsgemäß erst nach einem halben Jahr erwerben und einstellen) nicht sozial, nicht praktisch und einfach unfair. Erst Lust machen auf den Text, und dann die Torte wegsperren...

In diesem Sinne freundlich Ihr

Peter Mulzer


Das aktuelle Foto zeigt den Arbeitraum des Antiquars P.M., beachten Sie besonders (hinten Mitte) den stets wohlgefüllten Geldschrank