Montag, 27. September 2010
Aufruf zur Gründung einer Berufsakademie für das Antiquariat im deutschen Sprachraum
Drei einfache Beispiele zuvor.
1.
Ein Kollege im hohen Norden beklagte sich vergangene Woche bei mir über meine Unart, Pakete zu fertigen, aus denen das Zeitungspapier an allen vier Ecken hervorquelle und die, wiewohl haltbar, jeder Ästhetik Hohn sprächen. Er hatte ein solches Kunstwerk aus meiner Hand erhalten und war not amused.
Ich mußte ihm in der Antwort recht geben. Strafverschärfend wirkte sich aus, daß ich kurz zuvor freudestrahlend einen halben Tag an einem Aufsatz gesessen war, in dem ich darstellte, weshalb die Luftpostertüte ein Übel vor dem Herrn sei und jeder Kollege nur noch mit den Drehverpackungen aus dünner Wellpappe arbeiten sollte. Im Großhandel kosten sie ungefähr gleichviel, schonen das Buch aber weit besser und sind vor allem ansehnlicher, wenn sie beim Empfänger ankommen.
Damit hatte ich zwar den Nagel auf den Kopf getroffen, und da ich zugleich gute Quellen im Fabrikgroßhandel nennen konnte, stand einer Revolution und Standardisierung im Verpackungswesen, verbunden mit der Ächtung der Luftpolstertaschen und zentraler Belieferung mit den Drehverpackungen an alle interessierten Kollegen nichts mehr im Weg - zumal die Bremer Herstellerfirma eine großzügige Verrechnung mit jenen Abfallpauschalen anbot, die uns alle so nerven.
Trotzdem tat sich nichts. Es fehlte der Rahmen, das Thema auszudiskutieren, es war keine Plattform vorhanden und kein Informationsmedium, das halbwegs Autorität gehabt hätte, sich dieser Frage a k a d e m i s c h anzunehmen. Was zunächst eine formal korrekte, neutral geleitete Diskussion meint und dann die Erarbeitung und Verabschiedung von Erkenntnislisten, von S t a n d a r d s. Die es abschließend zu formulieren und an alle Antiquare zu verteilen gilt.
2.
Von Zeit zu Zeit ärgere ich die Antiquare mit meinen Webseitenkritiken. Zum Teil waren sie albern, es fehlte, wie Kollege RFMeyer richtig erkannte, die Berücksichtigung der technischen Strukturen hinter dem augenscheinlich Erkennbaren, teils aber waren sie, darauf bestehe ich, durchaus lehrreich, zum Beispiel als es um den Reihen-Vergleich der ästhetischen und oberflächlich-funktionalen Gestaltung unserer Bücherdatenbanken ging.
Wie auch immer, es dürften sich alle Antiquare mit mir gewundert haben, wie groß die Unterschiede sind in der Webseitengestaltung unserer Kollegen, welche zum Teil höchst peinlichen und ärgerlichen Fehler gemacht werden, in Rechtschreibung wie auch in Höflichkeit und Herzensbildung, und wie gut sich diese Mängel in Kategorien einteilen lassen, als sei man im Lateinunterricht oder in der Chemiestunde.
Ich habe das ja nur angetestet, nicht zuletzt deshalb drang ich nicht tiefer und breiter in die Materie ein, weil mir die dabei die Möglichkeit zur D i s k u s s i o n fehlte. Hier sollten wir Punkt für Punkt besprechen, werten, beurteilen können auf einer g e m e i n s a m e n Ebene. Webseitenkritik, Webseitenreform, Webseitenmodelle müssen in fairer a k a d e m i s c h e r Auseinandersetzung stattfinden bzw. entwickelt werden.
3.
Manche Bücherdatenbanken entwickeln sich sehr sprunghaft und präsentieren sich unerwartet gut, etwa das jetzige Eurobuch im Vergleich zum alten sfb, andere sind graphisch exzellent, kommen aber trotzdem auf keinen grünen Zweig, siehe antbo, wieder andere verirren sich nach einem Jahrzehnt guter optischer Gestaltung ins Überladene und Irritierende hinein, ich meine das heutige ZVAB, wieder andere beharren eigensinnig auf kuriosen Detailfehlern, siehe eine genossenschaftseigene Datenbank. - Zusammenhang, Zusammenarbeit, offen und im Untergrund, finanzielle Manipulation, internationale Bedrohungen und Kooperationen der Bücherdatenbanken sind fast unaufdröselbar geworden, selbst die diversen Vereinigungen der Antiquare gefallen sich darin, über ihre eigenen oder doch assoziierten Bücherportale wenig zu sagen oder doch nur das, was ihnen paßt, ich erwähne nur ILAB und das verdächtige Schweigen in Sachen Abebooks/Amazon international. - Die Gebühren- und Konditionenfrage ist zwar den fleißigen "unteren" Kollegen recht gut bekannt und wird dort diskutiert, der Rest der Antiquare aber hat nur ein höchst fragmentarisches Wissen, keinen rechten Überblick über das, was etwa bei Ebay geschieht. Düster lastet die w+h-Problematik über fast allen deutschen Antiquaren, eine Abhängigkeit, die bei Lichte besehen bald die Qualität des früheren ZVAB-Problems erreichen könnte. Wie elegant sich mit CSV-Standards der bescheidensten Art Auswege aus derartiger Unfreiheit organisieren ließen, das könnten die EDV-Experten unter uns gut darstellen (wenn sie denn wollten). - Es ist eine Schande, daß wir immer noch nicht in der Lage sind, Standards für Titelaufnahme, Zustandsangaben und Sachgebiete zu verabschieden. Nicht um sie dann sklavisch zu befolgen, sondern um überhaupt ein vernünftiges Regelwerk auszudiskutieren.
Auch dieses Bündel von Fragen bedarf einer a k a d e m i s c h e n Behandlung.
Das sind nun drei Beispiele aus einer umfangreichen Liste dringendster Desiderata. Auch das Messewesen sollte so diskutiert werden, auch die Preisentwicklung unserer alten Bücher und ihre Ursachen, die Chancen von Webseitenverbünden (über die ich unlängst schrecklichen Unsinn geschrieben hatte; so wie ich mir das dachte, geht es nie und nimmer). Die Umgründung einer allgemeinen Genossenschaft sollte in diesem Rahmen behandelt werden, Fragen der Zusammenarbeit mit Österreich und der Schweiz, vor allem gemeinsame Lösungen in der Portofrage, und so fort, es ist kein Ende der Themen abzusehen.
Wir haben gesehen, daß sowohl im Rahmen des ZVAB als auch in der Frankfurter Buchhändlerschule mit einigem Erfolg das durchgeführt werden konnte, was ich *Kurzzeitseminare und *Crash-Kurse für Antiquare nennen möchte. Das ist nichts Schlechtes, und selten habe ich mich über die Kollegen so geärgert wie bei der mißgünstigen, kleinlich-dümmlichen Beurteilung, die sie überwiegend zur Hand hatten bei diesem Thema. Denn der Versuch war löblich.
Zurück zur Buchhändler-Schule. *Kurse sind recht und schön, man kann auch erfahrene Kollegen finden, die die weißgott nicht leichte Arbeit zu übernehmen bereit sind, über ihre Fachgebiete zu referieren.
A b e r das ist alles keine f o r m a l e Diskussion, es dient nicht zur Gewinnung von E r k e n n t n i s s e n, befödert nicht den beruflichen F o r t s c h r i t t.
Dies kann nur eine Berufsakademie leisten.
In der Berufsakadenmie sollen
Arbeitsgruppen
eingerichtet werden, in denen nach Internet- oder Tagungsregeln Thesenpapiere aufzustellen und Ergebnisse zu erarbeiten sind.
Die Ergebnisse durchlaufen je nach Themenstellung unterschiedliche Entscheidungs- und Kontrollinstanzen. Man diskutiert und entscheidet über Drehverpackungen anders als über Webseitengestaltung, wieder anders über internationale Zusammenarbeit bei Bücherdatenbanken.
Die Akademie sollte zentral gelegen sein, gerade auch unter Berücksichtigung der Schweiz und Österreichs. Ich würde daher vorschlagen, daß die Buchhändlerschule in lockerer Assoziation der Sitz der
Berufsakademie der Antiquare
im deutschen Sprachbereich
wird. Die Leitung dieser Akademie sollte Björn Biester anvertraut werden. Ich bin zu Zeiten als Kritiker Biesters aufgetreten, gerade deshalb möge man diesen Vorschlag ernstnehmen.
Wie die Akademie finanziert wird, ist klar: Jede Berufsakademie wird von (möglichst) allen Kollegen gemeinsam getragen. Die Lehrkräfte sollten demokratisch gewählt werden; um das durchzuführen, muß nach meiner Einschätzung eine neue, lockere Plattform der "Antiquare im deutschen Sprachbereich" geschaffen werden, die dann Mitglieder der Berufsakademie sind und ihren Beitrag zahlen. Bei aller Liebe - daß und warum die bestehenden Verbände und Gruppierungen hierzu nicht herangezogen werden sollten, das können die Kollegen besser darstellen als ich.
In diesem Sinn rufe ich heute zur Gründung der
Berufsakademie der Antiquare
im deutschen Sprachbereich
auf.
Das Bild unten zeigt die frühere Börse der Buchhändler in Leipzig (Dank an de.academic.ru). Ganz oben, gleich nach der Überschrift, grüßt uns die Leiterin der Frankfurter Buchhändlerschule.
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