Freitag, 1. Oktober 2010

Brauchen wir Ebay im Antiquariat?


Hätte ich eine Diskussion unter Kollegen über "Ebay und die Antiquare" zu leiten, würde ich mehrere Thesen in den Raum stellen. Die wären dann nach allen Seiten hin zu erörtern. Behandelt man eine so schwierige Frage wie den Ebay-Komplex aus Sicht des Antiquariats nämlich nur feuilletonistisch, kommt man nicht weiter.

Wie so oft ist es unerläßlich, die Erb- und Todsünde unserer berufsbezogenen Diskussionen zu vermeiden, die darin besteht, zwischen den Buchtypen im Antiquariat nicht zu unterscheiden. 

Wir nehmen in den Blick

a) neuere gebrauchte Titel mit Erscheinungsjahr nach etwa 1950
b) ältere überwiegend nichtbibliophile Titel, ZVAB-Preis unter 40-50 Euro
c) ältere bibliophile (oder fachbezogen seltene) Titel über 40-50 Euro
d) Adiaphora/ Nonbooks wie Graphikblätter, Landkarten, Sammelbilder, Heftchen, Postkarten.

Und nun meine Thesen:

1.
Für neuere gebrauchte Titel mit Erscheinungsjahr nach etwa 1950 (a) ist Ebay vollkommen unnötig.

Die hier erzielten Preise liegen fast immer deutlich, oft sogar erschreckend niedriger als die in den Bücherdatenbanken. Vorteil: Durch geschicktes Einsetzen der Ebay-Spezialmittel wie Shops, "Sofort-Kaufen", "Preisangebot", vor allem durch das Basisprocedere der Terminversteigerung kann, w e n n  der Titel abgesetzt wird, ein sehr schneller Geldumlauf erzielt werden. (Hinweis, daß der quasi ausgeübte Paypal-"Zwang" die Frist bis zum Eintreffen des Erlöses auf dem eigenen Bankkonto auf 5-7 Tage nach Versteigerungstermin streckt - bei einer mittleren 5tägigen Vorlaufszeit (Angebotszeit) dauert es 10-14 Tage bis zur Realisierung des Erlöses, vom Zeitpunkt des Einstellens ab.). Nachteil: Die Gebühren, umgelegt auf ein tatsächlich verkauftes Buch, sind, einschließlich der Startgebühren für unverkaufte Titel, die ja mitgezahlt werden müssen, im unteren Wertbereich oft absurd hoch. Zusammen mit der Einstellungszeit führt das zu geradezu scheußlichen Ergebnissen. - Die Absatzquote für die Ladenangebote bei Ebay ist bei üblichen Titeln zu durchschnittlichen Preisen lächerlich gering. Fazit: Alle anderen Verkaufsformen sind bei neueren, durchschnittlichen Titeln besser. Bei Ebay verkaufen nur Dumme solche Titel.

2.
Transfer-Automatisierung, also das "Auch-Einstellen" von ZVAB-Titeln, etwa mit den w+h-Mitteln, ist zwar möglich, führt aber zu noch schlechteren Ergebnissen - weil die Bilderfrage, noch wichtiger aber die Sachgebietsfrage nur unzureichend "automatisch" gelöst werden kann. Titel der Kategorie (a) bei Ebay einzustellen, die man nicht sorgfältig in die Ebay-Sachgruppen eingelistet hat und/oder für die man kein(e) ausdrucksfähigen Bilder besorgt hat, sind noch schlechter verkaufbar, wenn es denn für "wenig" noch eine Steigerung gibt.

3.
Ältere  überwiegend nichtbibliophile Titel, ZVAB-Preis unter 40-50 Euro (b) sind nur dann über Ebay angemessen verkaufbar, wenn sie einem beliebten und/oder Sammelgebiet zugeordnet werden können. Bücher der Kategorie (b) außerhalb der nicht allzu zahlreichen beliebten bzw. Sammelgebiete sind noch schlechter verkaufbar als solche unserer Kategorie (a). Die Tragödie, die sich beim Absatzversuch mittlerer (b)-Titel außerhalb der beliebten Sachgebiete Woche für Woche bei Ebay abspielt, ist erschütternd. Nur die unbelehrbare Dummheit derer, die solche Titel trotz offenkundig absurder Ergebnislisten immer wieder anbieten, ist noch erschütternder... - Eine versteckte Funktion bei Ebay muß das Handwerkszeug jedes vernünftigen Einlieferers sein. Zunächst loggt man sich ein, will sagen, daß nur eingeschriebene Ebay-Mitglieder die Funktion nutzen können. Dann sucht man wie üblich in der "erweiterten Suche", klickt aber das (liebevoll verhehlte) Kästchen "beendete Angebote anzeigen" an. Dann zeigt sich in der Farbe grün die ganze Tragödie... - Es gab Monate, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Eichstätter Mega-Skandal, in denen reihenweise ordentliche Theologie des 17.Jahrhunderts, zum Teil sogar 1580, 1590... in gutem bis sehr gutem Zustand zu 10 und 15 Euro wegging, bei hübschen Einbänden.

4.
Ältere bibliophile (oder fachbezogen seltene) Titel über 40-50 Euro , unsere Gruppe (c), gehen konstant zu 50 - 60 % vergleichbarer Versteigerungspreise der mittleren Auktionshäuser etwa im Kiefer-Niveau bei Ebay über die Bühne. Die beharrlich unter Antiquaren kursierenden Gerüchte, es würden da Mondpreise für Scharteken erzielt, da die Kunden so dumm oder so gierig seien bei Ebay, sind völliger Unfug und gelten nicht einmal in den allergefragtesten Sammelgebieten. Wie von Geisterhand geführt, stoppen ausnahmslos alle Ersteigerungen in Ebay an der 2/3-Marge der sonst üblichen Auktionshaus-Nettoergebnisse. Es gibt tückische und kaum erklärbare Ausreißer nach  u n t e n, die im Einzelfall schwer ins Gewicht fallen und weh tun können, etwa die kompletten Tafeln zur Scheuchzer-Bibel für 200 Euro in die USA, an welchem Ergebnis ich lang zu knabbern hatte. Regulärer Einzelpreis besserer Tafeln um die 80-120 Euro. Nun sind das Einzelfälle, aber nach weit über 3000 zum Teil auktionswürdigen Eingaben bei Ebay stelle ich ex cathedra fest, daß für gute ältere bibliophile (oder fachbezogen seltene) Titel über 40-50 Euro (Gruppe c) höchstens zwischen 50 und 60 % Auktionsniveau zu erzielen sind - und keinen Cent mehr im Schnitt.

5.
Für Nonbooks jeglicher Sorte ist Ebay ideal, nur kann die Graphikmisere, unter der wir alle seit einem Jahrzehnt seufzen, dort natürlich auch nicht behoben werden. Ansonsten aber ist Ebay der Hort und das Reservat aller Arten von Adiaphora.



Eine Diskussion zu den Thesen 1-5 wird, so meine ich, zwingend zu folgenden Ergebnissen führen, die ich wiederum thesenartig niederlegen darf:

A.
Das Einstellen von Titeln der folgenden Kategorien bei Ebay:

a) neuere gebrauchte Titel mit Erscheinungsjahr nach etwa 1950
b) ältere überwiegend nichtbibliophile Titel, ZVAB-Preis unter 40-50 Euro

ist völlig unnötig, ganz grotesk falsch und führt, bei weitaus größerem Zeitaufwand, zu deutlich schlechteren, in der Summe absurden Ergebnissen. Es gibt kein technisches oder taktisches Mittel, um dieser Misere abzuhelfen.

Bei Titeln der Kategorie

c) ältere bibliophile (oder fachbezogen seltene) Titel über 40-50 Euro

erzielt man  bei Ebay d a n n,  w e n n  diese Titel einem beliebten und/oer Sammelgebiet angehören, Ergebnisse, die nach Abzug aller Gebühren, auch der für die unverkauften Titel, im Schnitt etwa 40-50 % des Ergebnisses einer mittleren Auktion entsprechen.

Für Titel der Kategorie d) ist Ebay, wie schon gesagt, ideal.

B.
Mit oder ohne Shop, mit oder ohne Fotos ist der Kollege, der Titel nach (a) und (b) bei Ebay einstellt, nicht gut beraten. Das muß man ganz deutlich sagen.

Für versteigerungsfähige Titel aus beliebten Sammelgebieten kann man, sofern man auf sehr schnelles Geld angewiesen ist und dafür rund 30-40 % Wertverlust als freilich sehr hohen indirekten "Zins" in Kauf zu nehmen bereit ist, Ebay benutzen. Dies ist bei mir der Fall, aber ich mache das mit deutlich hörbarem Zähneknirschen.

C.
Für fast alle unserer Titel, also (a) und (b), sind ausreichende andere Verkaufsmedien vorhanden. Es reicht aus, die Hände von Ebay zu lassen, was das Einliefern angeht.

Was aber fehlt - und das scheint mir der Kern jeder vernünftigen Ebay-Diskussion zu sein - ist eine Versteigerungsdatenbank nach Ebay-Muster, die nur bibliophile und/oder teure Titel aufnimmt. Hier könnte ich mir eine vereinsmäßige oer genossenschaftliche Trägerschaft gut vorstellen. Die nach meiner Einschätzung für teure, anspruchsvolle Titel grotesk unbrauchbare und verstaubte ILAB-Datenbank (mitsamt ihrem Nachfolger)  könnte hier für den deutschen Sprachraum durch ein modernes Instrument ersetzt werden.

Fazit: Wir brauchen Ebay nicht. Ebay schadet im Bereich der antiquarischen Bücher nur. Allerdings sollten wir diese Schlußfolgerung nicht ziehen, ohne uns für den bibliophilen Bereich um einen selbstorganisierten Ebay-Ersatz zu kümmern.

*
Nachschrift:
Aktueller Anlaß für diesen Aufsatz ist  der Bericht im "Börsenblatt"-Netzdienst, Abteilung Antiquariat, über den Artikel  "Four eBay Bookselling Tips" in Americanaexchange.
Der Artikel dort, sympathisch und sachkundig geschrieben, führt den deutschen Antiquar leider gröblich in die Irre. Nahezu keine der Besonderheiten im US-Ebay findet sich im deutschen Ebay wieder, im Bücherbereich hat sich Ebay-Deutschland weitgehend selbständig gemacht. Auch sonst verwirrt der ständige Bezug auf US-Ebay mehr, als daß irgendein nützlicher Hinweis daraus zu entnehmen wäre. Trotzdem liest man den Artikel der liebenswerten Kollegin Susan Halas gern. Wann werden deutsche Antiquare einmal so unaufgeregt und hilfsbereit schreiben, wie das in den USA gang und gäbe ist?

1 Kommentar:

  1. Der Verkauf lohnt sich auf ebay für Antiquariate, wegen der bereits erwähnten hohen Gebühren und niedrigeren Preise bei Auktionen, sicher nicht.

    Auf ebay ganz verzichten würde aber einigen Antiquariaten auch nicht schmecken, da sie dann auf eine günstige Quelle zur Erweiterung des eigenen Bestandes verzichten müssten. ;-)

    Eine Versteigerungsdatenbank für ebay betreue ich seit November 2009. In diese werden täglich Bücher eingepflegt, die in der Kategorie 'Antiquarische Bücher' mindestens 15,- Euro erreichen und über 5 Geboten liegen. Diese Excel-Listen können kostenlos über meine Webseite bezogen werden.

    Mit freundlichem Gruß
    Uwe Ross
    (buchkammer.de)

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