Meine Hochachtung vor bibliographischen Arbeiten jeder Art ist ausgeprägt. Erstens habe ich selber mehr Lebenszeit mit Erschließungsfragen gedruckter Quellen zugebracht, als mir lieb sein konnte, weiß also von dem Opfer und der Selbstlosigkeit des Bibliographen ein Lied zu singen. Zweitens bin ich dankbarer Nutzer einer Vielzahl neuartiger bibliographischer Leistungen, allen voran natürlich die Google-Suchmaschine und die Google-Scans. Wie jeder, der sich in einer Materie zuhause fühlt, urteile ich daher sehr direkt und ohne Umschweife über die Mitarbeiter in diesem Garten. Wo Halbheiten oder Widersinnigkeiten produziert werden, rede ich Tacheles wie der Onkel mit seinem Neffen - es bleibt ja in der Familie.
Ein Unglückswurm hat den weitgehend sinnfreien Versuch unternommen, eine Erschließung der Beiträge aus der - auch selbständig erschienenen - Antiquariatsbeilage des Börsenblatts der Buchhändler, "Aus dem Antiquariat", ins Netz zu stellen.
Zunächst ist ein formaler Grundfehler zu tadeln, der schon für sich genommen so schrecklich altmodisch und unpraktisch erscheint, daß er ausreicht, um den Nutzer wehklagen zu lassen. Denn die beiden unseligen Bearbeiter haben - als handle es sich um eine brave Semesterarbeit - zwar offenkundig in A u t o p s i e vorgehen können, die Texte also stets neben sich liegen und zur Hand gehabt. Das hat sie aber nicht gehindert, einfach stur und ohne Ausnahme die Titel herunterzubeten. Nun sind Aufsatztitel in literarisch hochstehendem Umfeld - so hat sich "aus dem Antiquariat" von Anfang an verstanden - selten sehr aussagekräftig. Der gelahrte Verfasser müht sich eher um eine edle, künstlerische oder künstlich knappe Überschrift. Über den Gehalt, die praktische Nutzbarkeit, die Tiefe der Erschließung, mitbearbeitete Themen usw. ist oft genug fast nichts gesagt, wenn wir nur die Überschrift notiert haben.
Wenn ich den Artikel schon in Autopsie zur Hand habe, dann bin ich doch - ich unterdrücke hier Verbalinjurien nur mit Mühe - zum Donnerwetter eingeladen, Inhaltsstichworte, besser noch irgendeine Form der Kurzerschließung zu erstellen. Um den Leser völlig zu nasführen, sind die Bearbeiter dann noch auf die Idee verfallen, nur immer die erste Seite bzw. Spalte anzugeben. Wozu sollte der Leser denn auch wissen wollen, ob er eine einspaltige Kurznotiz oder einen 15seitigen Aufsatz vor sich hat?
Schwerer aber wiegt der zweite Grundfehler - was soll mir die beste (oder wie hier, die schlechteste) Inhaltserschließung, wenn ich das Medium nicht zu Hand habe? Wir sind, werter Herr Biester, nicht mehr in den Urzeiten der Jahre um 1990. Wenn ich heutzutage Inhalte erschließe, dann muß ich mich auch darum kümmern, ob und wie die Texte überhaupt zugänglich sind. Jeder weiß doch, daß nichts schwerer zu "erlangen" ist als die Inhalte neuerer Fachzeitschriften! In den meisten Bibliotheken muß ich AdA sogar seufzend aus irgendeinem Nebenarchiv bestellen, einen halben Tag vorher, wenns beliebt, und Fotokopien nur ausnahmsweise...
Das bedeutet, daß uns Redakteur Biester hier eine Arbeit vorstellt, die in der Praxis schlicht und ergreifend nicht einsetzbar ist. Wer so in die Organisation des Börsenvereins eingebunden ist wie er, der hätte auch die Möglichkeit, diese Texte
*ins Netz zu stellen.
Darüber verliert er kein Wort. Die Antiquare haben ja doch AdA bei sich in der Handbibliothek stehen? Ich verwette meinen Wintermantel, daß unter den sechshundert ernsthaften Kollegen - 20 eine halbwegs komplette oder auch nur längere Folge der Jahresbände bei sich stehen haben. 20 von 600! Die übrigen aber sitzen beleidigt und enttäuscht vor der langen Liste interessanter Texte.
In diesem Blog ist man deutliche Worte gewohnt - hier sind sie: Eine unglücklich erstellte Inhaltsliste, in der die Titel einfach abgeschrieben wurden, in der nicht einmal die Seitenzahlen von-bis angegeben sind, bei der an irgendeine Inhaltserschließung nicht gedacht worden ist - und die eo ipso nutz- und sinnlos erscheint, weil die zugrundeliegende Quelle vor dem durchschnittlichen Nutzer verhehlt und verheimlicht ist.
Roß und Reiter müssen genannt werden, auch wenn das im Einzelfall weh tut: Hier haben alle Beteiliogten eine kafkaeske Leistung vollbracht. Wie gut hätte man doch, mit besserer Inhaltserschließung und einer großzügigen Netzveröffentlichung der Texte, ein Werbeinstrument einrichten können, zur Imagepflege für den Börsenverein bei Antiquaren und Büchersammlern, zum Wohl aller Beteiligten.
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