Sonntag, 10. Oktober 2010

Online-Handel im Antiquariat - Anmerkungen zum Frankfurter Workshop des Börsenvereins

Von 2010-10-10


Vorbemerkung: Siehe auch die Kollegen RFMeyer und Parduhn


Björn Biester frägt im Netzdienst des Börsenblatts, warum ich nicht auf der Frankfurter Buchmesse gesichtet wurde. Vermutlich hat, per Wortzahl abgerechnet, von uns Antiquaren niemand mehr geschrieben über die Probleme unserer Altbuch- Suchmaschinen als ich. Weshalb ergriff ich nicht die Gelegenheit, einige der beteiligten Herren kennenzulernen und die von mir zu erwartenden provokativen Fragen zu stellen?

Das hat zu allererst technische Gründe. Ich wills erklären. Wir haben Philosophen unter uns (Parduhn), Religionshistoriker (RFMeyer) und Germanisten (Biester). Also dürfen wir vom Kollegen Parduhn unverständliche Bandwurmsätze erwarten, von RFMeyer mythische Komplizierungen und von Biester emsig-nüchterne Literaturrecherchen. Da ich nun Soziologe bin, erlaube ich mir, technisch-taktische Gesichtspunkte ins Feld zu führen. Ich habe gelernt, wie man Veranstaltungen durchführen sollte - und wie nicht.

Daß das ZVAB heute nicht in genossenschaftlichem Besitz ist, liegt mit einiger Sicherheit daran: Eine - nun schon der Geschichte angehörige - Versammlung der Antiquare war technisch-taktisch derart angelegt worden, daß eine systematische Entwicklung von Gedanken, eine Darstellung von Zusammenhängen, eine geordnete Meinungsbildung und Diskussion nicht möglich war.

Damals wie heute sind die Probleme des Datenbankabsatzes für uns Antiquare viel zu vielschichtig, viel zu verwickelt, als daß Biesters "Workshop"-Konzept in einer zweistündigen Veranstaltung zu realisieren gewesen wäre. In Wahrheit exerzierte die AG des Börsenvereins nur eine durchaus nützliche Fragestunde zu allen anliegenden Datenbankfragen.

Das kann nicht schaden. Aber es hat sehr wenig zu tun mit jenem Mindestmaß an Meinungsbildung, an Diskussion und Ergebnissuche, das besonders dann so interessant sein kann, wenn wie hier endlich einmal beide Seiten am Tisch sitzen, die Nutzer (oder Opfer) und die, die im Interesse dieser Nutzer oder Opfer arbeiten (oder sie als Milchkühe ausbeuten).

Friedlich k a n n das Verhältnis zwischen beiden Seiten nicht sein - und soll es auch nicht, wie ich hurtig hinzufüge. Denn nur aus der ehrlichen Offenlegung der Konflikte, mehr noch der V e r d a c h t s - Momente, der Befürchtungen kann am Ende eine vertrauensvolle Symbiose entstehen.

Hochinteressant wird eine Veranstaltung dieser Art besonders dann, wenn, wie gestern geschehen, auch umsatzmäßig klitzekleine Außenseiter, die aber zündende Ideen haben, sich treffen mit sicher im Sattel sitzenden Größen des Gewerbes. Nun hat die Welt der Datenbanken ja ihre eigenen Gesetze und Regeln, ich weiß aus der Verwandschaft, daß es dort Berührungsängste eher nicht gibt und man sympathisch-unvoreingenommen miteinander umgeht.

In der Welt der Antiquare aller Schichten und Sorten ist es schon anders - das Gemenge aus eigensinnigen, zu Unrecht von Minderwertigkeitsgefühlen geplagen oder saudummen, aber eingebildeten Antiquaren, von saturierten "IchweißnichtwasIhreigentlichwolltmirgehtesbestens"-Kollegen bis zu ewigen Kleinigkeits-Kritikastern ("zvabhatschonwiederdieGrundbebührum0,05%erhöht,Protestmarschmußerfolgen", Nörglern und Katastrophensehern, ist schwer zu durchschauen.

Hat man da einmal den Durchblick, was ich von mir sagen darf, dann zeichnen sich die sattsam bekannten drei Schichten der Unter-, Mittel- und Edelantiquare deutlich ab, quer durchzogen von den beiden Hauptwarengruppen "gebrauchtes Buch der letzten 50 Jahre" und "echtes Antiquariat mit Schwerpunkt vor 1960". Nach Adam Riese sind das minestens 6 mehr oder minder deutlich unterscheidbare Grundformen der Antiquare.

Soweit, so gut. Nun treffen also mehrere Arten von Datenbankleuten auf mehrere Arten von Antiquaren. Was dann entsteht, kann man sich vorstellen. Entweder entwickelt sich eine recht befriedigende Eigendynamik des Geschehens, ein lebendiges Hin und her eher zufällig aufgegriffener Schwerpunkte, die dann auch durchaus interessant abgehandelt werden (so scheint es in Frankfurt gewesen zu sein) - oder das Prokrustesbett einer scheußlich mißratenen Zeitplanung würgt jede tiefere Erkenntnisbildung ab (so vor vielen Jahren in Berlin).

Beides aber hat sehr wenig zu tun mit gescheiter Inangriffnahme derartiger Herzensangelegenheiten. Wenn einem bestimmte Probleme auf den Nägeln brennen, wenn sie einen wirklich angehen - und das war hier der Fall -, dann sollte ganz anders vorgegangen werden.

Das betrifft erstens die *Vorbereitungsphase.

Es sind, am besten durch eine kleine Rundfrage, aber auch nur durch Einsatz der grauen Zellen des Verantwortlichen, eine Reihe von Grundfragen vorzugeben und - im Idealfall - auch jeweils durch Thesen zu beantworten. Je provokanter das geschieht, desto besser.

In der *Durchführung sollten die einzelnen Punkte durch kleinere Arbeitsgruppen erörtert werden. Wie man das ermöglicht, das hängt von den räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten ab. Einfach ist dies nicht zu lösen, es m u ß aber zwingend geschehen. Im Regelfall reicht eine Stunde dazu aus, um jeder Arbeitsgruppe Besprechung und Thesenformulierung zu ermöglichen.

Auch die nächste Stufe sollte, in der einen oder anderen Form, so durchgeführt werden, daß sich die Mitglieder der jeweiligen Arbeitsgruppe aufs Podest begeben und den Referenten gegenübersitzen. Die Diskussion findet zwischen der Arbeitsgruppe und den Referenten statt, wobei die anderen Anwesenden sich jederzeit zum Mitreden "melden" können.

Wodurch unterscheidet sich dieses Prozedere von der Fragestunde, wie sie in Frankfurt durchgeführt worden ist? Die Meinungen, Probleme und Standpunkte sind von allen daran jeweils Interessierten bereits g e b ü n d e l t worden. Es findet eine Art Meta-Diskussion statt. Diese ist, wie sich jeder vorstellen kann, ungleich schärfer als eine ohne Arbeitsgruppen-Vorbereitung abgehaltene Fragestunde.

Es gibt noch eine Reihe bewährter Tricks und Varianten, die ich angesichts der komplizierten Strukturen auf beiden Seiten, Datenbanken wie Antiquare, besonders nützlich gefunden hätte. Ich meine da besonders eine (Niederrhein und Friesland bitte weghören) nicht geheime, sondern durchaus ö f f e n t l i c h e

*vorbereitende Diskussionsrunde im Internet.

Das hätte auch den Vorteil, weitaus mehr interessierte Kollegen nach Frankfurt zu bringen und, wichtiger noch, auch die Statements interessierter, aber wirklich verhinderter Kollegen einzuholen. Solches betrifft nun auch mich, denn mir in Zürich, wo ich zurzeit arbeite, einen Tag freizunehmen ist nicht ganz einfach, bei vernünftiger Vorplanung und Vordiskussion hätte ich das aber gern getan und mich in den ICE nach Frankfurt gesetzt.

Fazit: Sicher eine nützliche Veranstaltung, die aber weitaus mehr hätte leisten und vielleicht sogar neue Signale setzen können, wenn sie gescheiter vorbereitet worden wäre. Was man ja bei passender Gelegenheit - Wochenendseminar z.B. - nachhholen kann in Frankfurt. An mir solls nicht fehlen.


Das Foto zeigt die Teilnehmer des gestrigen Workshops der Antiquare beim Börsenverein - Dank an mundo.de, denen das Urheberrecht gehört.

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