Montag, 8. November 2010

Messewesen im Antiquariat - Laufställchen oder Tierschau?



Kollege RFMeyer hat eine gute Nase für Fragen, die bei der Tagesdiskussion unter den Tisch gefallen waren oder schlicht vergessen worden sind. Diesmal nimmt er sich der Reform des Messewesens im Antiquariat an. Das ist mutig, denn seine Erfahrungen mit Innovationen im Antiquariat fielen bisher eher betrüblich aus. Mit Hilfe der werten Kollegen geht ihm im ersten Viertel des Marathonlaufs die Puste aus. Die Mitantiquare schieben ihm Knüppel zwischen die Beine, Kolleginnen aus Kiel und anderswo pieksen ihn mit Hutnadeln, Mulzer, derweilen am Zürichsee zugange, zückt das Fläschchen mit der Salzsäure. Dann ist die Idee tot. Ein kleines Grabmal erinnert an ihre hoffnungsvolle Kindheit. Das war beim Webseitenverbund so, wiederholen sollte es sich diesmal nicht. Ich wünsche unserem Berufstand, daß sich seine Idee einer Neubelebung und Reformierung des Messewesens im Antiquariat eines längeren Lebens erfreuen darf.

Sammeln wir einige Fakten und legen sie vor uns auf den Tisch.

Der Büchersammler ist in aller Regel sehr e i n s a m. Oft will er das auch sein, es ist ihm gerade recht so. Man kennt die Redensarten vom Buch als dem besten Freund, vom Buch, das uns auf die einsame Insel begleitet, vom Buch, das uns nie im Stich läßt, vom Buch des Eremiten.

Wir kennen aber auch die Neigung der Büchersammler zur Grüppchenbildung, zum gemeinsamen Klatsch und Tratsch, zur geselligen Runde nach E.T.A.Hoffmannscher Manier. Im Rahmen der örtlichen Ladenkultur ist das gut zu beobachten - Büchersammler kommen gern zur gleichen Zeit in den Laden, sprechen anscheinend ganz zufällig kurz miteinander - der erfahrene Antiquar aber spürt, wie sie neben dem Durchstöbern der Regale und dem Durchblättern der Bücher offene Ohren und wachsame Seitenblicke haben zu den anderen Kunden hin. Da ist nicht nur Eifersucht und Argwohn zu spüren, sondern auch ein deutliches und starkes W i r - G e f ü h l.

Vereinzelung und Geselligkeitstrieb, Eifersucht und Sympathie bilden also ein sehr starkes Anziehungs- und Abstoßungsmuster. Ich glaube nicht so recht an ein lebendiges Funktionieren der klassischen bibliophilen Vereine oder von Organisationen wie der "Mappe", und was dergleichen Vereinsmeierei mehr sein mag. Natürlich macht den Büchersammlern sowas auch Spaß, aber im Grunde widerspricht die Vereinsbildung der Anziehungs- und Abstoßungsregel. Bücherkunden wollen oder können sich nicht selbst organisieren.

Sie warten aber sehnsüchtig darauf, daß der A n t i q u a r auf sie zukommt und sie in ein Gesellungsmuster hineinführt. Beim Überdenken dieses Sachverhalts winde ich einem der guten Geister meiner Gymnasialzeit, dem Antiquar Evers, ein Kränzlein des Gedenkens - was wäre mir als Jungen in der Oberstufe entgangen, hätte ich nicht jeden Tag um 17 Uhr an der Rotweinrunde in seinem ärmlichen, aber hochromantischen Laden teilnehmen dürfen - Rektoren, Journalisten, alles leicht verrückte, aber grundgescheite Hühner, und hochinteressante alte Bücher, und viel französischer Rotwein...

Die Messe wird gern mißverstanden als "Gelegenheit, sich die Ware persönlich anschauen zu können". Ich weiß nicht mehr, welcher Esel dazu den Begriff des "Haptischen" eingeführt hat, aber lassen wir das. Diese Möglichkeit ist schon wichtig, auch das sogenannte "Gespräch" zwischen Kunden und Antiquar auf der Messe am Stand ist bedeutsam. Allerdings entwickelt es sich, sofern man sich nicht wirklich gut kennt oder ein spontaner "Draht" zwischen Besucher und Antiquar gespannt werden kann, in schrecklich peinlicher und befangener Art. Ich kann nicht sehen, inwieweit solche Verlegenheits-und Blabla-Gespräche vertrauensbildend sein können. Das wird sicher überschätzt. Oft genug sind die Kunden auch enttäuscht, wenn sie dem Herrn gegenüberstehen, den sie sich bislang via Korrespondenz und Distanzverkauf als kompetent und würdig vorgestellt hatten. Wer steht nun, linklisch händereibend, aus dem Munde riechend, mit zwei linken Socken und liebedienerischer Verbeugung vor ihnen - der alte Mulzer. Fehlt da nicht sogar ein Backenzahn? Ach Gott...

Der Antiquar ist kein glatter Versicherungsvertreter, in aller Regel weist er deutliche Seltsamkeiten auf. Ich habe einmal, auf der Gründungsversammlung der Genossenschaft, eine große Menge Kollegen gemeinsam erlebt, ich war erstaunt über die seltsame Menagerie, die sich da gruppiert hatte. Mit solchen Menschen, einzeln sicher originell und komisch (ich war und bin einer der komischsten), macht man vielleicht eine Ausstellung von Kralnegern oder eine Freakschau, aber man stellt sie nicht in eine Messe in helles Licht, und dann auch noch in Massen und nebeneinander.

Nein, das ist keine Kollegenschelte. Wir müssen soviel Selbstkritik haben und erkennen, daß wir liebenswerte, aber überwiegend meschuggene Vertreter des Menschengeschlechts sind, mit denen man alles machen darf - nur nicht sie neben- und nacheinander ausstellen zu wollen.

Der Buchkäufer, der uns auf der Messe besucht, gehört in der Regel recht durchschnittlichen und herzeigbaren Typen an, der originelle, seinerseits auch seltsame Sammler ist ja leider fast ausgestorben. Somit wird die Messe mitunter weniger zu einer Besichtigungstour der Bücher - - sondern der Antiquare. Ich lasse mir nicht einreden, daß die werten Kollegen nicht so sensibel sind, daß sie das spüren. Die Messeteilnahme wird dergestalt zu einer seelischen Belastung für den Antiquar - und zu einem Vergnügen für den Kunden. "Heute gehen wir Antiquare schauen".

Natürlich spricht niemand darüber, denn welcher Antiquar würde sich nicht schämen, solche schwächlichen Empfindungen vor Kollegen zuzugeben. Sie machen alle gute Miene zum bösen Spiel. Es gibt, das am Rande, mehrere typische Formen, in denen der Antiquar das abregagiert - etwa indem er den Grantligen spielt oder - das war immer mein Part - indem er wortreich und dozierend-freundlich den Aufgedrehten spielt und die Kunden um sich schart. Beides ist natürlich oberpeinlich und durchsichtig.

Nun zu den Überlegungen, wie eine Reform des Messewesens im deutschen Antiquariat aussehen könnte. Ich hab nicht viel Zeit, schreibe diesen Text in der Mittagspause und möchte nur Anregungen in Stichworten geben.

1.
Eine sehr bewährte Gesellungsform, die fast jeden Büchersammler anspricht, ist die Versteigerung. Ihren Urgrund hat sie in der Ladenkultur, wenn neue Ware hereingekommen ist und sich mehrere Kunden, oft Stammkunden, um einen begehrten Titiel streiten - mit Vergnügen. Das muß mit Jagdinstinkt zu tun haben, fast alle Männer und viele Frauen mögen es. Die Bandbreite der Überlegungen kann von einem generellen Überführen des Messeswesens in eine große Versteigerung (bei der sich jeder Händler vorstellt und seine Ware, mit Minimalgebot, anpreist und erklärt, dann selber versteigert) bis hin zu listig geplanten "Einlagen" von versteigerungsähnlichen Veranstaltungen an jedem Messetag.
2.
Alle älteren Herren sehen gern hübsche junge Frauen, je nach Temperament können auch mal junge Männer gefragt sein. Bitte schlagen Sie mich nun nicht dafür, daß es so ist. Ich habe den Menschen nicht erfunden, ich kann nur Tatsachen feststellen. Wenn sich halbnackte junge Damen in den Automessen in Frankfurt oder Genf auf den Automobilen räkeln, dann empfinde ich das als ganz natürlich. Für mich ist seit Evers Zeiten die Verbindung "ältere Herren" und "Erotik" absolut selbstverständlich, was natürlich nicht Schweinigeln auf Stammtischniveau meint, sondern Ästhetik und natürliche Schönheit. Der Gedanke klingt zunächst absurd, wenn wir uns aber in unsere typischen Kunden hineindenken, werden wir überwiegend leicht verklemmte, etwas gehemmte Menschen kennenlernen, die sehr wohl direkte Erotik zu schätzen wissen.

Eine Inkunabel, dargebracht von einer Sportstudentin im Stringtanga, ist für mich das natürlichste der Welt - die perfekte Werbe- und Messeunion.

Für die Erstausgabe des Felix Krull muß dann freilich ein knuspriger Kunststudent her. Lachen Sie nicht, ich meine es ernst. Altes Buch und nackte Haut, das ist die perfekte Union, der ideale Gegensatz, das paßt harmonisch, ist absolut stimmig.

3.
Wir sollten auch über ein Aufbrechen der schrecklichen Gliederung der Messe in quadratmetergroße einzelne Stände nachdenken. Mich erinnert das immer an die schon erwähnte Menagerie-Besichtigung - jeder Antiquar in seinem Gitterställchen. Wie riecht er? Hat er wirklich einen Buckel? Nuschelt er sächsisch oder radebrecht er schweizerdeutsches Hochdeutsch? Trägt er wirklich Wildlederschuhe? Ist er so dumm, oder tut er nur so? Er sollte wirklich mal wieder abnehmen...

Die Abschaffung der Einzelstände wäre auch gut zur Bekämpfung jenes Laufställchen-Eindrucks, der sich respektlosen Besuchern aufdrängt. Denn unser Vergleich mit der Menagerie der Raubtiere ist ja noch viel zu gutherzig - ganz überwiegend handelt es sich um große Babys in großen Laufställchen.

Wollen wir d i e s e n Eindruck bei unseren Kunden erwecken? Fördert das den Gedanken des Büchersammelns?

Es sind mehrere Arten des Aufbrechens der unseligen abgezirkelten Standkultur denkbar. nicht ganz einfach für Antiquare, deren Gemeinschaftsgeist bekanntlich gegen Null strebt. Aber es ist machbar.

4.
Die Messe trägt noch weitere ungute Elemente in sich, die wir in eine Reformierung des Messewesens im Antiquariat mit einbeziehen sollten. Wir müssen da sprechen über die Rivalität, über die Schichtung unseres Gewerbes, über die eher rührenden Newcomer neben dem Protzenkollegen mit reichgefülltem Bücherportefeuille, über den strohdummen, aber geschäftstüchtigen Drängler und den grundgescheiten, aber linkischen Schüchternen... Alles das wirkt als unsichtbare, aber mächtige Abstoßungen und Anziehungen in jeder Messe. Soll es einfach hingenommen werden als gottgegeben oder sind hier Einfälle, neue Ideen gefragt, die sowas abmildern?

5.
Die Werbung für das Sammeln alter Bücher auf Messen ist, wie von deutschen Antiquaren nicht anders zu erwarten, bisher unsäglich linkisch, unzulänglich und als reine Alibifunktion unternommen worden. Hier eröffnet sich ein ganzes Füllhorn von Möglichkeiten, die nur durchdacht und dann mit leichter, mutiger Hand in Angriff genommen werden müssen. Nicht kleckern, sondern klotzen ist da die Devise.

Bevor ich auf die vielfältigen Parallelen und Anregungen aus dem Bereich des Experimentaltheaters zu sprechen komme, muß ich abbrechen. Schweizer sind leider sehr pünktlich.


Die Aktfotos (Urheberrecht liegt bei H.Gross) zeigen den nach Konzept Mulzer belebten Stand des Antiquariats Seeblick auf der Züricher Büchermesse 2012

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