Montag, 1. November 2010

"Better World", das Haus der Bücher und eine neue Genossenschaft





Björn Biester erfreut uns heute wieder mit einigen liebevoll gesammelten Lesefrüchten.

Mir fällt auf, wie sorgsam er jede eigene Stellungnahme vermeidet. Nicht einmal zu ironisch-listigen Andeutungen, nur für reifere Leser verständlich, ringt er sich durch. Das ist schade. Neutralität wirkt immer auch etwas kühl, Frost macht sich breit, wir ziehen uns Handschuhe und dicke Wollsocken an. Gemütlichkeit kommt da nicht auf, auch kein Heimatgefühl.

So sind wir für jedes persönliche Wort dankbar, das wenigstens dem Kommentarteil etwas Anheimelndes verleiht. Der scheint aber zur Zeit den mitunter etwas weltfremden Edelantiquaren vorbehalten zu sein. Wir hören ein weiteres Mal das Märlein vom Segen der braven Listenarbeit, von der Kundenbetreuung und der lohnenden Messeteilnahme. Die fachkundigen Leser aber können mit solchen Predigten wenig anfangen, sofern sie nicht zu den Edelantiquaren gehören, keinen Zugang zu auserwählter Sammlerware haben, keine grundgescheiten Kunden, die bereit sind, sie zu belehren...

Mich regt die elitäre Sichtweise solcher Ratgeber fürchterlich auf. Das kleine Grüpplein der 30 Spitzen- und Fachantiquare braucht solche Ratschläge nicht, die wissens ohnehin - und den anderen 570 ist damit höchstens in den Bankrott und zu Hartz 4 weitergeholfen.

Wir haben für unsere 30-50 Spitzenleute recht gute Weiterbildungs- und Kontaktangebote, aber für die 550-570 anderen Kollegen haben wir - nichts. Keine berufskundlichen Schulungsangebote auf breiter Grundlage, keine Auskunfts- und Gemeinschaftsdienste, keine unterstützenden Maßnahmen. Es reicht eben nicht, wenn Edelantiquare darauf verweisen, wieviel Zeit sie für Kollegen haben, wenn sie um direkten Rat angegangen werden, am Problem ändert auch die Tatsache nichts, daß viele Antiquare für kleine Kreise, besondere Grüppchen, separate Webbündnisse oder Datenbankprojekte regelmäßig Zeit und Mühe aufwenden.

Damit werden immer nur Teilreparaturen vorgenommen. Aber niemand denkt daran, den maroden Wagen endlich einmal in seine Einzelteile zu zerlegen, ihn durchzuölen, brüchige Teile auszutauschen, notwendige Anbauten vorzunehmen.

Die Situation im deutschen Antiquariat ist bis zum Abwinken bekannt. Da aber viele Antiquare eine geradezu heilige Scheu davor haben, die Dinge beim Namen zu nennen, ist es immer wieder nützlich, wenn man als Blogschreiber die Müllabfuhr selber übernimmt und ein weiteres mal festhält: Wir haben vier, wenn nicht fünf Berufsverbände, Clubs, Grüppchen in unserem kleinen Gewerbe, das - mit Österreich und der Schweiz - nach Biesters vermutlich richtiger Schätzung nicht mehr als 600 Kollegen umfaßt.

Das ist grotesk, könnte aber trotzdem ganz anregend sein und gut funktionieren, wenn nicht - einem Gesetz der Serie folgend - eine dieser Gruppen skurriler wäre als die andere. Die Beteiligten wissen das auch, sagen es aber nur in nächtlichen Telefonaten und wissen dann tagsüber - nichts mehr davon.

In erfreulicherem Zusammenhang muß Kollege Helmer Pardun aus Radebeul ins Spiel gebracht werden. In seinem liebenswerten, gut und mit Herz geschriebenen Aufsatz ist er gestern über seinen Schatten gesprungen und hat auf jedwede theoretische Analyse verzichtet. Dafür gebührt ihm Lob, welches höchstens dadurch gedämpft wird, daß die Alpträume und Gehirnwürmer, die er uns bisher mit seinen volks- und sozialwissenschaftlichen Regelwerken verursacht hat, immer noch nachwirken.

Im Augenblick brauchen wir ein gutes Stück marktwirtschaftlicher Theorie. Denn was uns Susan Halas über "Better World" berichtet, ist hochaktuell und wegweisend für unsere hausgemachten deutschen Sorgen. Wir können, so glaube ich, einige Umsichtvorausgesetzt, das "Better-World"-Modell in den deutschen Bereich übernehmen. Keine Sorge, ich serviere nun nicht einen Neuaufguß meines "Hauses der Bücher", das wäre nachgerade langweilig, sondern es ersteht aus dem Grabe - eine Neuauflage der Genossenschaft. Warum, mit welchen Folgen, das sollen Sie gleich hören.

Eine technische Anmerkung zuvor. Während ich vorhin mit Vergnügen den langen - brillianten - Aufsatz von Susan Halas in der "AE Monthly" überflogen hatte, war mir eingefallen, was ich immer wieder am Rande feststellen muß, es aber nie so recht wage zu sagen: Die große Mehrheit unserer Kollegen liest längere Texte in Englisch nicht fließend. Es hat keinen Sinn, daß wir uns da was vormachen. Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn wir hier so tun, als könnte "man" im Antiquariat ja doch englische Texte fließend lesen. Soll ich schätzen? 50 können es fließend und ohne Wörterbuch, so daß es Spaß macht, weitere 50 eher langsam und mit Nachschlagen einiger Wörter - die 500 anderen haben so bescheidene Lesefähigkeiten im Englischen, daß sie sich an die Lektüre, die uns Biester anbietet, erst gar nicht machen wollen.

Wenn man das weiß - und Müllmann PM spricht es aus -, dann ist es keine gute Informationspolitik, die Texte nicht zu übersetzen. Ende der Umleitung, zurück zu Susan Halas.

Räumen wir zunächst einige spezifisch amerikanische Seltsamkeiten beiseite. In den USA werden, man kennt das, mit größter Unbefangenheit moralische und religiöse Anliegen vermischt mit kruder, nackter Geschäftstüchtigkeit und Ertragsgier. Das fällt einem US-Bürger erst gar nicht auf, vermutlich wundert er sich eher darüber, wenn es fehlt. Für uns Deutsche aber ist es allemal unerträglich, wenn auch nur leise Anklänge an soziales Engagement, religiöse oder moralische Fragen Hand in Hand auftreten mit geschäftlichen Zwecken. Das geht bei uns nicht (und es ist gut so). Deshalb blenden wir Unsäglichkeiten wie "buy books do good" oder "every purchase supports global literacy" ganz einfach aus. Diesen Teil der Geschäftsphilosophie des Unternehmens, mitsamt dem schrecklich anschmusenden Namen "better world", den vergessen wir am besten ganz schnell. Das würde bei uns ein s c h m i e r i g e s Image erzeugen.

Ebenso erscheint uns die Methode, sich auf Vor-ISBN-Bücher nicht weiter einzulassen oder sie jedenfalls nicht als einen der Schwerpunkte zu behandeln, als grotesk und des Antiquariates unwürdig. Aber auch da geht man in den USA ganz anders heran, weitaus lockerer. In Europa wären Ansätze dieser Art ebenso komisch wie finanziell blödsinnig. Es mag in Deutschland noch angehen, wenn Neubuchaufkäufer (in Berlin und anderwo) auf dem Fernweg nur dann automatische Preise anbieten können, wenn sie via ISBN eine eindeutige Wertbestimmung vornehmen wollen. Sonst aber würde jedes, aber auch wirklich jedes Unternehmen nach Art der "Better world" bei uns auf zwei Beinen stehen müssen und wollen, einmal auf dem der Vor-ISDN-Titel und zum anderen auf dem der neueren Bücher nach ca.1960 /1970. Aus praktischen, ebenso aber auch aus Imagegründen.
Und noch ein Drittes. Das muntere System aus Kundenzugang im Lager, einem Teilangebot in Ebay usw. entspricht nicht dem deutschen Ordnungsgefühl. In Deutschland würde man - zurecht und aus gutem Grund - ein sehr strenges Lagerhaltungssystem nach Knoe/Libri/Amazon-Vorbild einrichten und aufrechterhalten und sehr klare Absatzwege vorschreiben und dann auch durchhalten. Uns ist die Gabe des gemäßigten - und funktionierenden! - Chaos nicht verliehen, das die lockeren Amerikaner da mit Bravour vorexerzieren, auch in ihren konventionellen Riesenantiquariaten.

Diese drei Punkte sind interkulturell unterschiedlich zu sehen. Ansonsten gibt es nur Gemeinsamkeiten. Leider durchaus vertraut sind uns inzwischen etwa die Sorgen von Susan Halas über die "kulturelle Entblößung", der sich allzu entsorgungsfreudige Bibliotheken schuldig machen könnten, verführt durch das Angebot "wir nehmen alles und holen es ab". Eine ganze Kette von Skandalen teils übelster Sorte - ich sage nur: Eichstätt - lehrt uns: Das kann in Deutschland ebenso geschehen. Aber es ist, und das will ich nun ganz deutlich sagen, allmal nicht die Aufgabe von uns Antiquaren, über das Kulturgut im unteren und mittleren Bereich zu wachen. Wir haben schon genug damit zu tun, Spitzenware - o Gott: Donaueschingen - vor dem Untergang zu bewahren und uns da intern etwas Anstandsgefühl beizubringen. Kulturelle Fragen aber müssen ansonsten die Bibliotheken (und der Blog von Dr. Graf) selber erledigen.

Nun kommen wir zur Kernfrage.

Ein System dieser Art wird in Deutschland ebenfalls entstehen. Ich weiß, daß sie anläßlich meiner ersten Vorstellung des Modells vor über 10 Jahren in der Hess-Runde bei KochNeffÖttinger, die ich direkt als möglichen Träger benannt hatte, mein Projekt in Stuttgart durchgerechnet hatten und zum Ergebnis gekommen waren: Es lohnt n o c h nicht.

Wie beim "Bücher-Michel" scheinen meine alten Aufsätze sorgfältig archiviert zu werden von Stellen, die nicht wünschen, daß man von solcher Aufbewahrungstätigkeit allzuviel Kenntnis nimmt. Wir dürfen also damit rechnen, daß das Modell, in den ersten Ausarbeitungen von mir auch als "Wölki-Modell" bezeichnet, irgendwann fröhliche Urständ feiert. Ob das ein privater Investor (wie in Berlin), ein Kollege (wie Wölki), ein Grossohaus, Amazon oder wer auch immer durchzieht, ist weniger wichtig als die Gretchenfrage, ob wir Antiquare uns dagegen wehren könnten.

Wenn ich mich an das teils etwas hysterische und würdelose Geschrei mancher Kollegen anläßlich unserer bescheidenen deutschen Oxfam-Filialen erinnere, dann müßten die gleichen Antiquare jetzt schon schlaflose Nächte haben aus Angst vor dem dann kommenden neuen Gebilde.

Die Sache selber halte ich für durchgerechnet; mit den richtigen Ankaufsquellen und vor allem sehr viel deutscher Organisation würde sich die neue Krake lohnen und sich rasend schnell ausbreiten. Es gibt bestimmte Gründe (über die man diskutieren sollte, dringendst) , die dafür sprechen, daß der deutsche Altbuchmarkt besonders anfällig ist für mein altes Grundmodell, besonders wenn die Schwerpunkte, anders als bei "Better world", mehr ins Retrospektive verlegt werden und ein Auktionshaus (im Netz und/oder konventionell) angegliedert wird.

Und nun bitte ich um Fassung und würdevolles Benehmen. Wir treten an das Grab eines fast schon vergessenen Wesens und bereiten uns darauf vor, es mit allerlei weisen Sprüchen neu zu beleben: Genossenschaft, erstehe auf und lasse dich neu gestalten!

Es gibt nur e i n e n Weg, um dem uns drohenden "Better world"-Konzept zu begegnen: Das "Haus der Bücher" muß in unserer eigenen Initiative gegründet werden, die Trägerschaft k a n n nur in den Händen einer Genossenschaft liegen.

Die Edelantiquare sollen nicht glauben, daß sie von einem privat geführten Grossohaus für alte Bücher nicht beeinträchtig werden könnten! Vor allem aber sind es die Kollegen der unteren und der Mittelschicht, die ausgetrocknet und ihrer Existenz beraubt würden. Wir wissen alle, wie knapp bei vielen Kollegen jetzt schon die Rendite aussieht. Ein privatwirtschaftlich geführtes "Haus der alten Bücher" würde ihnen mit langsamem Würgegriff die Luft abstellen, jeden Tag ein bißchen mehr...

Ich will Ihnen erklären, warum die Trägerschaft eines solchen Hauses nur genossenschaftliche Form haben kann: Schon nach kurzer Zeit wird der Grossohaus in Gefahr kommen, die Interessen einzelner Antiquare oder der Antiquare überhaupt zu beeinflussen, zu beeinträchtigen. Hier müssen dann komplizierte Regelungen und Abwägungen erfolgen, die nur Sache der Antiquare als Gesamtheit sein dürfen. Im Aufsichtsrat des Bücherhauses sitzen also die Antiquare selbst.

Das hat mit Dirigismus oder gar Sozialisierung nichts zu tun. Vielmehr sollten wir das ähnlich einer Kartellbehörde sehen, die ja auch versucht, einen Markt vor Gefährdungen zu schützen, ihn behutsam zu lenken. Das alles ist ein wenig die Regel de tri und alles andere als einfach. Erstens muß das neue Haus stark genug sein, um berufsfremde Einflüsse (hier ist das Adjektiv wirklich angebracht) abzuwehren. Neben einem schon bestehenden starken genossenschaftlichen Haus macht eine ernstzunehmende Firma kein zweites auf, tut sie es doch, kann sie bekämpft werden. Zweitens kann das neue Haus allen Antiquaren jeglicher Schicht fürchterliche Routinearbeiten abnehmen und ihren Qualitätsstandard wirklich erhöhen, zumal wenn das genossenschaftliche Haus strikt als anonymer Leistungsvermittler auftritt. Drittens können, nicht durch Kartellabsprachen, sondern durch schiere Marktmacht, gewisse Preisregularien durchgesetzt werden, die die Antiquare selber beschließen. Viertens kann der Privat- und Schleichhandel an der Steuer vorbei endlich einmal gut bekämpft werden.

Die neue Genossenschaft muß eine sehr niedrige Eingangsschwelle haben, vollkommen transparent arbeiten, durch ein Parlament aller Antiquare verwaltet werden. Ich rate aufgrund der gemachten Erfahrungen dazu, die neue Genossenschaft zwar als Träger zu institutionalisieren, die praktische Verwaltung des "Hauses" aber einem Verein zu übertragen, der flexibel reagieren und demokratisch diskutieren kann.



Mein Dank für die Fotos aus dem Betrieb von "Better world"gilt AE Exchange, denen das Urheberrecht gehört


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