Sonntag, 7. November 2010

Neue Wege der Fachpublizistik im Antiquariat





Schon als Student war ich ein treuer Leser der Börsenblatt-Beilage "Aus dem Antiquariat" und eine kleine Leserzuschrift, in der ich den Kollegen Tenschert verteidigte, dürfte, zeitgleich mit Antiquar Feucht/Allmendingen, einer der ältesten AdA-Beiträge von Kollegen sein, die heute noch leben. Damals hatte mich der betuliche Stil der Redakteurin sehr geärgert und AdA war für mich das Musterbeispiel eines eiskalten, hochnäsig und hochtrabend geführten Greisenblattes. Vieles davon hat sich bis heute erhalten, die Neigung Björn Biesters, menschliche Gefühle im journalistischen Tiefkühlfach aufzubewahren, macht das AdA für mich bis heute zum Musterbeispiel eines unpersönlichen Fachblatts. Da die persönliche Begegnung mit der alten Redaktion dann aber sehr herzlich verlief, wir über viele Fragen einer Meinung waren, ich eine faszinierende Fachfrau kennenlernen durfte, sah ich AdA fortan mit stiller Rührung an. Meine Hoffnung auf einen neuen Stil unter einem neuen Redakteur erwies sich schnell als illusorisch. Daß ich es leider mit Björn Biester "nicht kann", ist in seinem Börsenblatt-Netzdienst an vielen Stellen nachzulesen. Unterschiedlichere Temperamente lassen sich gar nicht denken, während ich echauffiert in der Tropenhitze am Amazonas schreibe, sitzt er in ungerührt an den Fenstern einer ungeheizten britischen Schloßhalle und tippt in Fingerhandschuhen. So ist dann auch seine Fachzeitschrift.

Man weiß schon, wie sympathisch mich der Stil, die Umgangsformen und die spontane Herzlichkeit der Antiquare in den USA berühren. Das geht auf die Zeiten zurück, in denen ich die Vorbereitungsforen zur US-Genossenschaft "Tom Folio", zur dortigen Datenbank und zu anderen Gemeinschaftsleistungen in weit über tausend Postings mitlesen durfte, in der - vergeblichen - Hoffnung, irgendetwas davon in die deutsche Genossenschaft übertragen zu können. Seither sehe ich, übrigens mit einigen Abstrichen auch die britischen und niederländischen Kollegen, die Antiquare des Auslands als Vertreter einer sympathisch-offenen und freundschaftlichen Zunft. Fürchterlich und für mich ganz unbegreiflich ist die zänkische Kälte, das widerliche Mißtrauen, die ränkevolle Rivalität, die mir in deutschen Foren entgegenschlägt, nur in Frankreich ist das Klima im Antiquariat noch eisiger und infamer. Ich habe keine rechte Erklärung für dieses Phänomen, weiß nur kraft meines guten Gedächtnisses, daß dieser schreckliche "deutsche" Ton im Antiquariat schon in Zeitschriften um 1900 und um 1930 herrschte.

Mit Grauen erinnere ich mich an jahrelanges Gezänke um 1890 über die Frage, ob und wie und wann der deutsche Antiquar oder die deutsche Buchhandlung "modernes Antiquariat", das damals Ramsch hieß, führen dürfe und soll und ob das ehrenrührig sei oder nicht. Als sich dann noch herausstellte, daß es meist jüdische Kollegen waren, die Pro-Ramsch argumentierten, schlichen sich sofort auch antisemtische Töne ein. Das hatte ich vor etwa 30 Jahren eher zufällig im Zusammenhang mit Karl Mays Editionsfragen in Buchhandelsblättern recherchiert, aber heute noch würgt mich der Ekel über den Umgangston unter den deutschen Antiquaren vor über hundert Jahren. Das alles hat sich offenbar nicht geändert. Jene Idylle, die uns aus manchen historischen AdA -Aufsätzen anblickt, hat es nur in besonderen Zirkeln gegeben. Ansonsten herrschte gehässiger Kleinkrieg in widerlicher, verbohrter Animosität. Sind deutsche Antiquare so?

Jede Fachpublizistik zum Antiquariat im deutschen Bereich muß dieser ebenso unglücklichen wie unerfreulichen Stimmungslage Rechnung tragen. Am besten läßt man die Antiquare in Ruhe, berichtet ü b e r sie, aber nicht m i t ihnen. Immer wieder haben sich Medienprojekte bemüht, Antiquare aktiv einzubeziehen. Von unendlicher Peinlichkeit getragen waren die Versuche des mir immer sympathischen Stormchens, einzelne Kollegen aus ihrer giftig-trotzigen Reserve zu locken und einzubinden in seinen "Antiquariatsanzeiger", man muß nur zwischen den Zeilen lesen und einige Hintergrundinformationen haben, um das mitleidsvoll zu erkennen. Auch RFMeyer wurde beim Versuch, einen Webseitenverbund mit minimaler gemeinschaftlicher Publizität zu gründen, flugs in die Ecke des sich anschmusenden und vergeblich werbenden Kollegen gedrängt. Mit tiefem Grauen erinnere ich mich an den Stil der Beiträge im Xing-Forum, für mich streckenweise ein Blick in die Abgründe zänkischer, übelwollender, mißtrauischer Kollegen.

Da jeder Journalist aber den unwiderstehlichen und guten Antrieb verspürt, den Gegenstand seiner Arbeit mit einzubeziehen in den Prozeß der Berichterstattung, müssen wir uns überlegen, wie Fachpublizistik für das Antiquariat denn geleistet werden kann im deutschen Bereich. Die Lösung kennen wir aus der Berichterstattung der ARD aus der DDR. Lothar Löwe an die Front! Wenn es schier unmöglich erscheint, einen kooperativen, vertrauensvollen und offenen Umgangsstil mit denen zu entwickeln, über die wir zu berichten haben, dann behandeln wir sie eben als gehemmte, unzurechnungsfähige, verhinderte oder sonstwie sprachlose Wesen, f ü r d i e der Fachpublizist zu sprechen hat. Darin liegt nicht unbedingt eine Herabwürdigung der Antiquare, eher die Erkenntnis - daß sie es zur Zeit eben nicht anders, nicht besser wissen, verstehen, begreifen können,und - daß wir als Fachpublizisten für sie zu schreiben haben.

Solche Betrachtungsweise eines ganzen Gewerbes trägt auch dem ganz absurden (in anderen Berufen undenkbaren) Umstand Rechnung, daß die Schichtung des Gewerbes vom braven, einfachen Flohmarkthändler über den halbverblödet mit w+h-Materialien neuere Titel eintippenden mittleren Internet-Antiquar bis hin (nicht unbedingt bis "hoch") zu den grundgescheiten Fach- und Spitzenantiquaren reicht. Nur eine verantwortungsvolle Fachpublizistik ist in der Lage, diese Grenzen und Schichtungen zu überschauen, sie nach Kräften zu ordnen und somit a l l e n zu helfen. Gerade an dieser Aufgabe hat sich Biester und sein AdA bisher die Zähne ganz vergeblich ausgebissen, er taumelt in Projekten und Themenwahl ziel- und hilflos zwischen kleinen Ebay-Kollegen und hochmögenden Wiener Versteigerern hin und her. So vernünftig und klug die Überlegungen auch sein mögen, fast nie bezieht er die groteske Schichtung des Gewerbes mit ein, verprellt dadurch immer einen Teil der Fachadressaten und vertieft die Abgründe noch, etwa durch die Gestaltung seiner Schulprojekte.

Es geht nicht um Bevormundung. Der Redakteur muß es einfach besser wissen. Wo er aber keine bessere Übersicht hat als der durchschnittliche Antiquar, dort hat er das auch zuzugeben. Fachjournalisten leben gefährlich, denn sie haben ein extrem - wenn auch nur punktuell - sachkundiges Publikum vor sich. Zwei Beispiele. Der Einfluß der Versteigerer auf das Antiquariat ist weitaus größer, als das gemeinhin angenommen wird. Trotzdem wird darüber nicht berichtet (auch aus der Feder des langjährigen AdA-Auktionsexperten Zur Mühlen habe ich nicht viel darüber gelesen), weil nur wenige Antiquare wirklich wissen, wie ein deutscher Buchversteigerer intern arbeitet. Eher durch Zufall gewann ich hier gründliche Einblicke. - Im Ladenantiquariat örtlicher Prägung hatte sich eine Menge wichtiger Erkenntnisse zum Verhalten, zur Psychologie usw. des Büchersammlers beobachten lassen, über die der Internetantiquar der Jetztzeit schlicht und ergreifend nicht mehr verfügt. Altgediente Ladenantiquare haben dieses Wissen selbstverständlich parat. Wie schwierig muß es für den reinen Internet-Kollegen sein, sich auch nur annähernd in diese fast vergangene Welt hineinzuversetzen. Wir haben unsere Kunden noch intim kennengelernt! Man muß auch wissen, wie das riecht, wenn der Kunde ins Schwitzen gerät, weil er einen Titel unbedingt haben will, wie seine Täuschungsmanöver sind, seine Tricks, sein Verhalten und Argumentieren bei Mängeln, Preisnachlässen. Nur schon die Psychologie des Konvolutverkaufs... Auf Messen kommt das alles nur noch gedämpft und kontrolliert herüber. Ort der Erkenntnis war der eigene Laden!

Nach diesen eher selbstverständlichen Feststellungen kommen wir ans Eingemachte. Fachpublizistik im Bereich des Antiquariats hat auf zwei Beinen zu stehen, wenn sie erfolgreich arbeiten will: Sie dient dem Antiquar ebenso wie dem Büchersammler.

Hier werden von den meisten Fachmedien die gröbsten Fehler begangen.

Die Todsünde besteht darin, daß unentwegt und wider jedes bessere Wissen das Wolkenkuckucksheim, das Nebelgebilde eines "Bibliophilen" aufrechterhalten wird. "Der Bibliophile", auch "ernsthafter Büchersammler", "Messekunde", "Versteigerungsbesucher" genannt, solle, so geht die Mär, generell und querbeet "teure Bücher", "seltene Bücher", "bibliophile Bücher" sammeln. Er baue sich mit Titeln über etwa 50-100 Euro eine "ausgesuchte bibliophile Büchersammlung" auf, man könne ihm immer "seltene Titel anbieten", und was der frommen Mären mehr sind.

Dieser Büchersammler ist nahezu ausgestorben, vielleicht hat es ihn bei näherem Hinsehen fast nie gegeben.

Die Wahrheit ist viel mühsamer darzustellen: Fast jeder ernsthafte Büchersammler sammelt nur oder ganz überwiegend Titel seines F a c h bereichs. Hier beginnen die begrifflichen Schwierigkeiten schon, denn wir haben sehr oft nicht eines der klassischen Fachgebiete vor uns. Wir erhalten vielmehr ein kompliziertes Netz von sich teilweise überlappenden, auch wild und unlogisch querlaufenden Themenwünschen, Bücherarten, Wert- oder Einbandweisen, Illustration oder Erhaltungszustand, Erscheinungszeitraum oder Buchhandelsart (siehe "Heftchen"), religiöse oder philosophische Tendenz, sexuelle Veranlagung, Regression (Mädchenbücher des Biedermeier, alle Karl May, alle "Trotzkopf"-Bände) können bestimmend sein.

Das alles hat mit dem klassischen "Bibliophilen" sehr wenig zu tun. Denn es wird überwiegend "sinnfrei" gesammelt, aus in Wahrheit eher dumpfen Antrieben. Gerade darum regen mich die betulichen randwissenschaftlichen Ergüsse, mit denen uns AdA seit einem halben Jahrhundert quält, so auf: Das hat fast nichts zu tun mit den echten, wirksamen Antrieben in Gehirn und Seele unserer Kunden. In dem Augenblick, wenn sich ein Büchersammler hinsetzt, um - ein anonymisiert gemeintes Beispiel - für Biester eine schöne wissenschaftliche Abhandlung über Struwwelpeter-Ausgaben zu schreiben, da verfälscht er den echten Antrieb, die wirkliche Grundlage seines Sammelns fast immer. Wie mag es in Wahrheit in der Seele eines Menschen aussehen, der diese schrecklichen Frankfurter Sadomaso-Ausgeburten an "Kinderbüchern" mit Hingabe gesammelt hat.

Ähnlich sieht es in vielen Sammelbereichen aus. das muß jeder für sich ergründen, Psychoanalytiker werden mir rasch sagen können, warum ich von Kindesbeinen an ausgerechnet alte Eisenbahnkursbücher sammle. In Klammern sei bemerkt, daß der Fachantiquar die wirklichen Antriebe seiner Sammelkunden kennt - oder doch kennen sollte.

Wie auch immer, zweierlei ist festzuhalten. Erstens sollte die "wissenschaftliche" Kunde der antiquarischen Sammel-Themen nicht Gegenstand der Publizistik im Antiquariat sein. Vielmehr - ich hatte lange mit der alten Redakteurin von AdA darüber diskutiert - sollte das Gegenstand einer buchwissenschaftlich-buchhistorischen Zeitschrift sein. Die fixe Idee von AdA, a u c h ein solches buchhistorisch-wissenschaftliches Fachblatt sein zu wollen, hat nun schon zwei Generationen von Antiquaren und Büchersammlern zum Gähnen, zur quälenden Langeweile geführt. Die Redaktion von AdA sollte vor ihrem inneren Auge bei der Vorstellung, wie sie von der geneigten Leserschaft angeblickt wird, in ein Meer von sperrangelweit gähnenden Mündern schauen. Noch heute ist das spezielle Honiggelb der AdA-Umschläge früherer Zeiten für mich das Synonym für G ä h n e n - ich gähne inzwischen sogar bei Vorhängen oder Polsteresesseln in dieser Farbe.

Wer ein gutes Gedächtnis hat, der erinnert sich, neben dem durchaus pfiffigen Antiquariatsanzeiger in Leporello-Papierform der früheren 90er Jahre, an eine in Hannover erschienene, recht kurzlebige Fachzeitschrift für Antiquare und Büchersammler. Sie war formal ungeschickt gestaltet, trotz wunderschöner Farbfotos, brachte aber eine Reihe von Aufsätzen zu Sammel-Fachthemen, die exakt so "heruntergefahren" waren, wie es fast allen Fachaufsätzen in AdA gutgetan hätte - und noch guttun würde.

Warum tun sich die Fachmedien im Bereich Antiquariat so schwer? Trotz der erwähnten massiven Probleme, über, mit und für a l l e Antiquare zu schreiben, ist es die andere Seite, die der Kunden, die weitaus größere technische Ansprüche stellt an jede Redaktion. Denn es müssen nolens volens a l l e Sammelgebiete beobachtet werden. Das mochte noch angehen, als sich die querzulesenden Referenzmedien auf Fachzeitschriften beschränkten. Heute aber gibt es auch für entlegene Büchersammelgebiete oft mehrere Blogs, Foren, Portale, Diskussionmsmedien. Es macht keinen Sinn, über die Welt der Büchersammler berichten zu wollen, ohne über jedes dieser rd.100 überwiegend klar abgegrenzten Buchsammelthemen einen ungefähren Überblick aufrechtzuerhalten. Das ist weitaus mühsamer als die Berichterstattung über das Antiquariat von der Verkäuferseite her.

So lautet aber der Anspruch: Ein Fachmedium im Internet-Zeitalter, das über "Antiquariat" berichten will, muß Antiquare und ihre Kunden dergestalt zusammenführen, daß beide regelmäßig und gern zurückkehren zu dem Portal, in dem "ihre" Herzenssache verhandelt wird.

Noch ein, zwei technische Anmerkungen. Es gibt nur noch die Möglichkeit einer elektronischen Publikation, die Papierform muß in diesem Sonderfall verschwinden. Das Antiquariats-Medium der Zukunft lebt nämlich von der Vielzahl der von dort aus direkt verlinkten Informationsquellen. Jeder Besucher, ob Altbuchhändler oder Büchersammler, muß wissen, daß er ü b e r diesen Knotenpunkt des neuen Antiquariatsmediums hinkommt zu Fundstellen, Nachweisen, Listen jeder Art. Auch muß er direkten Zugang (mit Suchfeld) zum ZVAB, zu Abebooks, zu Amazon haben. Alles das ist nur möglich in elektronischer Form. Die Gestaltung allerdings sollte konventionell sein, um den überwiegend älteren Kunden Rechnung zu tragen - keine Tricks, keine aufklappenden Textblasen, nichts Hüpfendes, Laufendes, Zuckendes, und jene harmonischen Farben verwenden, die das Alter vorzieht. Kein Kloschüssel-Lindgrün, kein arterielles Blutrot, keine infamen "modernen" blaßgrau-Texte. Bitte nicht...



Das Foto zeigt Karl May um 1875 als Redakteur ("Beobachter an der Elbe" usw.)

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