Montag, 13. September 2010

Die Kundenmißhandlung in unseren Antiquariatswebseiten, Folge 1



Würde Günther Jauch, den ich sehr schätze und dessen Quizsendungen ich niemals versäume, ein Millionenspiel für Antiquare veranstalten, dann könnte die Frage zur Million sein "Welcher Antiquar veröffentlichte auf seiner Webseite längere Zeit ein großes Foto, auf dem er splitternackt am Bücherregal zu sehen war?"

Nun sind die Zeiten der Hess-Runde lang vorbei und ich wüßte wirklich gern, wer die Antwort auf Anhieb parat hätte. Notabene handelte es sich nicht um einen Aprilscherz, auch nicht um eine kurzlebige oder unbedeutende Firma, sondern um einen zurecht hochgeschätzten, sachkundigen Kollegen aus Zürich. Ich fand das damals sehr sympathisch, habe das Bild auch noch irgendwo in meinen Archiven.

Dies ist die extremste und zugleich recht angenehme Beantwortung der Frage, wie Antiquare mit der Selbstdarstellung in ihren Webseiten umgehen. Ansonsten habe ich - weit weniger erfreulich - aus einem (im inzwischen sanft verschiedenen Blog "alteskrokodil") veranstalteten Webseitentest äußerst peinliche Beispiele von Arroganz und Angeberei gewisser Kollegen in Erinnerung, seltsamerweise auch und gerade von solchen, die es nicht nötig gehabt hätten, sich dergestalt zu profilieren.

Wir haben gesehen, daß durch die "Arkaden"-Idee der Besuch der Antiquariatswebseiten in ganz neuer  Weise intensiviert werden kann, wenn mans nur pfiffig und vom  K u n d e n  her organisiert. Indem wir aber die Käufer massenhaft zum Besuch unserer Einzelseiten veranlassen,  muß der Gestaltung der Antiquariats-Webseiten eine größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Weniger vornehm, im Mulzer-Sprech formuliert: Der bisherige Schlendrian muß ein Ende haben, sorgfältigere Webarbeit ist subito für jeden Kollegen angesagt!

Auf die technischen Aspekte, die leider die meisten Antiquare viel mehr interessieren als die psychologischen, kommen wir später zu sprechen. Heute geht es um eine erste Annäherung an das Problem und die Chance der  S e l b s t d a r s t e l l u n g  des Antiquars auf seiner eigenen Webseite.

Nach bewährter Manier gehen wir das in einem ersten Schritt feuilletonistisch an. Ich greife eine zufällig ausgewählte Anzahl von Webseiten heraus und bespreche sie kritisch im Hinblick eben auf die Selbstdarstellung des Chefs bzw. der ganzen Firma. Durch dieses Verfahren erhoffen wir uns einen ersten Einblick in die bei dieser Frage auftretenden Probleme und Chancen.

Es ist mir hier, bei diesem sensiblen Gegenstand, besonders wichtig vorauszuschicken, daß ich lediglich meine persönliche Einschätzung zum besten gebe, daß ich die Webausschnitte nur im Zusammenhang mit der Lösung unserer beruflichenSachfrage heranziehe und veröffentliche, daß also alle Urheberrechte an den Bildern, an der Webseitengestaltung usw. bei den Kollegen liegen. Ich veranstalte also auf die Schnelle einen  T e s t, im Interesse der Antiquare und der Kunden, und dabei muß sich der gestreßte Kollege nolens volens allerlei gefallen lassen.


1.
http://www.mon.de/dus/ganseforth
Eindringlich warnen möchte ich vor der Inanspruchnahme von Web-Brücken- und Sammeldiensten, Webseitenverlinkern und -vermittlern auf lokaler oder sonstiger Ebene. Das ist teurer Mumpitz (kostet er nichts, ist er noch mieser) und führt zu peinlichen Ergebnissen. Es ist psychologisch verheerend, wenn das Antiquariat Ganseforth in Düsseldorf zwar eine hübsche, eigene Webadresse hat, dann aber kümmerlich-schäbig im Rahmen eines Nürnberger "Marktplatz Mittelstand" abgerufen werden muß, mit Zwangsscrollen nach unten und unsäglicher Normgestaltung. Das aber nur am Rande. Es geht uns hier um etwas anderes:

Es darf nicht etwas beim Kunden  v o r a u s g e s e t z t  werden, was dieser uns gar nicht mitgeteilt hat, was wir von ihm gar nicht wissen können. Ich soll den Kunden nicht dumm- und totschwätzen, indem ich ihm etwas  s u g g e r i e r e. Das erniedrigt den Kunden zum Unmündigen. Ich zitiere:


"VIELEN DANK, DASS SIE SICH FÜR UNS INTERESSIEREN"

Das dann noch Großbuchstaben am allerersten Anfrag der Webseite.

Dem Versuch, auf unseren Webseiten den Kunden zu überschwätzen und es besser zu wissen als er, werden wir in weitaus gravierenderer Form noch öfter begegnen.


2.
http://www.bilker-antiquariat.de/

Frau Kiel im Bilker Antiquariat überfällt den Kunden schon auf der Eingangsseite (!) mit ihren AGB, die übrigens einer textlichen Nachprüfung nicht standhalten. Es ist das psychologisch denkbar  ungeschickt und erinnert an den schwarzgekleideten Wachmann am Eingang des Mediamarkts, der jeden Besucher aufdringlich mustert. Der Umgangston auf der Webseite ist viel zu kurz, unfreundlich, von fast beleidigender Knappheit: "Finden Sie mit der Detailsuche gezielt den gewünschten Titel." - "Klicken Sie auf einen Sachgebietsnamen, um sich alle Titel... anzeigen zu lassen" -

Ihr Umgangston wird zur Zumutung, wenn sie dem rat- und wegsuchenden Kunden diesen überraschenden Fakt mitteilt: "Sie können sich bei Map24.de den Standort des Antiquarts anzeigen lassen und auf Wunsch eine Route planen." - Dies natürlich ohne Link dorthin, ohne kleines Google-Kärchen,  n i c h t s.

Besonders sensibel ist der Text auf der Kontaktseite auszuwählen. Frau Kiel knallt uns da einfach nur den Adressentext an den Kopf, in einem Anflug von Entgegenkommen hat sie wenigstens die anklickbare Webadresse blau gefärbt.

"Sicher werden Sie in unserem Sortiment fündig." steht an Ende des (harschen) Warenkorbtextes. Das ist  dem Kunden gegenüber menschlich gesehen "unmöglich". Denn der kann ja auch ratlos einem leeren "Warenkorb" gegenübersitzen.

Die ganze Webseite ist nach meiner persönlichen Einschätzung psychologisch eine Katastrophe. Merke: Wir sind in einem Antiquariat - nicht auf dem Kasernenhof. Wer meint, den Kunden kränkend knapp abfertigen zu sollen, der hat den falschen Beruf erwählt.

3.
http://www.antiquariat-clement.de/
Die bewegte Eingangsseite ist so charmant und stilsicher konzipiert, daß wir uns ausnahmsweise diese "Bewegung" gern gefallen lassen. Ansonsten wären solche Mätzchen tödlich. - Aber dann kündigt sich Schreckliches, zunächst nur leise grollend von ferne, an, denn wir lesen: "Warum wir das Bücherschicksal von Bonn sind...?"

Zusammen mit den weiter unten schon sichtbaren, fürchterlichen Fettdruck-Buchstaben ahnen wir, daß es hier ein Problem geben wird. Zitate:  "Doch oh Wunder!  Keine mühevolle Recherche war nötig, denn Madame Clement und ihr geschätzter Mitarbeiter kannten jedes einzelne ihrer Bücher." - "Kein Professor, kein Student, kein Journalist, kein Politiker, kein Hobbyleser blieb vom stillen Ruf der Bücher verschont." - "Warum wir so gute Bücher haben..."?

"Sehen Sie, viele unserer Kunden fühlen sich durch eine lange Lesepartnerschaft zutiefst mit uns verbunden.  Schon mehr als zwanzig Jahre begleiten sie die schönen Bücher der Madame Clement.  Dieser Ruf hallt durch die Society der Bibliophilen aus ganz Europa:  Wer immer eines seiner geliebten Exemplare veräußern möchte, wendet sich an uns. "

Nun dachte ich zunächst an eine hübsche Selbstveräppelung, ein selbstironisches Versteckspiel, das die Antiquarin hurtig auflösen würde...  Die meinen es aber ernst in Bonn!  Nach solcher Angeberei, auf dem Fischmarkt in Altona gerade noch angängig, verwundert auch die Webseiten-Erbsünde nicht mehr, die sich hinter dem harmlosen Satz: "Besuchen Sie uns im Internet unter www.zvab.com und www.abebooks.com.  " verbirgt. Welche Links verblüffenderweise auf das *allgemeine* ZVAB und Abebooks verweisen, was gewiß nicht im Sinn der Erfinderin war.

"Was auch immer Sie suchen, Ihr Buch wird Sie finden!" - "Warum Sie bei uns fündig werden...?"  "Kein Wunsch bleibt offen!"  Diesen Fehler sahen wir schon unter (1). Ich darf den Kunden nicht als unmündiges Kind behandeln, um es milde auszudrücken.

4.
http://www.oldbooks-bonn.com/
Nichts gegen Minimalismus. Was uns aber Sawhney hier bietet, ist nun wirklich unfreundlich und rätselvoll. Der Antiquar sollte sich und sein Geschäft nicht - kundenpsychologisch gesehen - auf eine Suchmaschine reduzieren. Wir sind keine Giraffenkommoden, sondern lebendige Menschen! (Die Ergebnisse der Suchmaschine sind nach meinem Dafürhalten schauerlich-schrecklich, ich lasse das Testbild ohne jeglichen Kommentar seine jammervolle Witrkung tun).


In Klammern bemerkt: Auch dieser Satz, wenn er wie hier auf der Eingangsseite steht, stellt eine ganz leise Vergewaltigung des Lesers dar: "Indem Sie diese Webseite verwenden, bestätigen Sie, dass Sie die allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen und verstanden haben und damit einverstanden sind."

Ansonsten sind die spärlichen Texte recht freundlich gehalten, immerhin. Anhand dieser Webseite lernen wir, daß eine - durchaus nicht unfreundliche und formal nicht fehlerhafte - allzu knappe Gestaltung einer Antiquariatsseite in hohem Maß, wenn allemal auch ohne Absicht,  b e l e i d i g e n d  sein kann dem Kunden gegenüber. Kollege Sawhney ist gewiß ein ehrenwerter Mann, aber ihm muß gesagt werden, wie schrecklich der Eindruck seiner Webseite auf den ernsthaften, durchschnittlichen Kunden sein wird.

Freilich hülfe bei *diesen* Titelaufnahmen auch eine gefällige Seite nicht mehr weiter, aber lassen wir das.


5.
http://buecheretage.de/impressum.htm
Auch die Bücheretage in Bonn geht minimalistisch vor. Die Startseite ist zugleich das Impressum, das wirkt kundenunfreundlich. Ob eine lieblos zusammengestoppelte Montage aus Institutsregalen (nicht einmal die Perspektiven stimmen) dekorativ daherkommt? Eine Registerkarte "Produkte und Sachgebiete" läßt uns nachdenklich zurück, was für "Produkte" das denn seien?
Wir werden es   nie erfahren.                                                                                                                  

Der Kollege hat offenbar Datenbankeinträge aus einer zentralen Gemeinschaftsdatenbank (da kann ich mich aber irren) umgebaut, dadaistisch-absurd und verwirrend eingefärbt und so scrollintensiv in den Raum geblödelt, daß Kollege RFMeyer vor Neid noch erblassen muß. Die Lehre vom weiten Raum auf die Spitze getrieben oder: Wie ärgere ich den webseitenlesenden Kunden...

Hier haben wir eine Wiederholung des psychologischen Grundfehlers, der darin besteht, daß der Antiquar überhaupt nichts sagt über sich, seine Firma, auch nichts vom Antiquariatsbüsi berichtet, kein FKK zwischen den Regalen veranstaltet, sich aber auch nicht  e i n  erklärendes, persönliches Wort abringen mag.

Mein persönlicher Gesamteindruck: Ein von stummen Robotern geführtes,  e i s k a l t e s  Antiquariat aus einem futuristischen russischen Film.


(Fortsetzung folgt)


Das erste Foto, mit dem netten Antiquariatsbüsi, ist Eigentum einer britischen Webseite. Ich habe den Link dazu verloren, bedanke mich aber gern für die Ausleihmöglichkeit.

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