Samstag, 11. September 2010

Sachgliederung im klassischen Antiquariat - ein Vorschlag

Die neue Sachgliederung ist fertig und wird Ihnen in ihrer oberen Ebene hier vorgestellt.

Die Entstehungsgeschichte ist recht verzwickt. Vor etwa 15 Jahren hatte ich mir mit erheblichem Portoeinsatz ein halbes Tausend Kollegenkataloge aus dem Zeitraum 1990-1995 beschafft und nicht nur nach Themen und Untergruppen geordnet, sondern darüberhinaus Stückzahlen und Erscheinungszeiten der angebotenen Titel  mit den Themen verbunden, "korreliert". Das ergab meine erste Sachgebietsliste für das Antiquariat, eine plakatgroße, vollgekritzelte Fleißarbeit, von der ich heute noch zehre. Dazu nahm ich nun meine eigene Betriebsstatistik, wenn ich den roten Faden durch mein Chaos so nennen darf.


Man muß wissen, daß ich in einem Anfall geistiger Umnachtung vor mindestens 20 Jahren auf die Idee kam, nicht etwa seltene und teure, sondern - billige und schäbige Bücher zu sammeln. Da ich das Glück hatte, zwei tüchtige und faire Kollegen als Abnehmer der besseren Bücher stets zur Hand zu haben, konnte ich mir den Luxus leisten, meine Idee zu verwirklichen. In Frage kamen nur nicht-wertvolle Bücher vor 1945.

Heute sind es rund 25.000 Titel, nicht viel, wenn mans mit Kollegen vergleicht, aber des Wahnsinns fette Beute in Anbetracht der Tatsache, daß das eine Ansammlung von vermülltem Schrott, von staubbedeckten, meist schäbig gehefteten Broschüren, Schulbüchern, Verwaltungsschriften der skurrilsten und abseitigsten Art darstellt. Nicht nur, daß keine Seele die meisten dieser Titel kennt oder gar kaufen möchte - die gute Hälfte kommt aus einem inzwischen halbvergessenen Kulturkreis, in dem die eigenen deutschen Bücher von Jahr zu Jahr weniger gelesen werden können. On ne parle pas allemand.

Stichproben ergaben, daß gut ein Zehntel der Titel nur an einer oder an überhaupt keiner deutschen Bibliothek nachzuweisen sind. Wenn mich also der Herzinfarkt ereilt und das Fürsorgeamt mit dem Kammerjäger einige Lastwagen zur Müllverbrennung karrt, dann gehen auch etliche hundert ganz verschollener Schriften endgültig verloren.

Im Ernst, man muß einen Sinn fürs Kafkaeske haben und sich auf, neben und unter Bücherstaub wohlfühlen, wenn einer ein so groteskes Steckenpferd reitet wie ich. Die guten Titel gehen sofort außer Hause, den Dachbodenrümpel, alle Seltsamkeiten bewahrt er auf, durchschnittliches Erscheinungsjahr übrigens 1898. Das muß man mir erst mal nachmachen.

Ich erzähle davon nur, weil ich natürlich immer wieder Anläufe zur Sachgebietsordnung anhand meines eigenen Materials gemacht hatte. In Staubwolken, von seltsamen, etwas verdächtigen kleinen Käferchen umflattert, von Bücherspinnchen begangen, hustend (aber glücklich) sortierte ich während solcher Ordnungsanfälle meine Skurrilitäten nach Sachgebieten. Ich kam selten weiter als bis zu einer Zimmerhälfte (von5), dann gab ichs wieder auf. Die Käferchen und Spinnlein waren es zufrieden, und wer hätte mir auch was abkaufen mögen? Ich war vor Zeiten eine Art Schrecken des SdD-Programms, da ich dauernd Titel anbot, die der betreffenden Bibliothek zwar fehlten, die sie aber ganz und gar nicht anzukaufen gedachte. Kurzum - mein Büchermuseum nehme ich mit in die Müllverbrennung.

Immerhin kann es nicht schaden, wenn man die Sortierergebnisse zu den Titeln vor 1945, meist sogar vor 1920, im Kopf hat. Denn das ist ja auch  j e n e   Literatur, von der ich behaupte, daß wir sie überwiegend deshalb nicht verkaufen können, weil die Titelkenntnis der Kunden so gering ist.

Was mich überrascht hat diese Woche: Die von mir mit großen Erwartungen aus dem Netz kopierte

Klassifikation des GBV,

im Umfang eines mittleren Buches, ist nach meiner respektlosen Einschätzung ein fürchterlicher Schrott. Das Ungleichgewicht der Bearbeitung in die Tiefe, die geradezu lustige Unübersichtlichkeit, das häufige Fehlen von gedanklichen Querverbindungen, die Überbetonung modernster Buchthemengattungen zu Lasten klassischer Wissenschafts- und Handwerkstraditionen, die geographische Armseligkeit, das theologische Chaos - ach je, wo soll ich anfangen? Am besten gar nix sagen, Du kriegst doch nur Ärger, Mulzer. Jedenfalls ist dieser schreckliche Versuch einer Klassifikation in seiner Ungleichmäßigkeit ähnlich scheußlich gebaut wie die Dezimalklassifikation. Für die Praxis des klassischen Antiquars völlig unbrauchbar, ja: schädlich.

Da war die bescheidene Klassifikation der Volksbüchereien, vor unendlich vielen Jahren von der EKZ herausgeben, dagegen eine Erholung, eine Freude. Die  a l t e n  Bibliothekare konnten auch schon was, das fällt mir immer wieder auf.

Wie auch immer, ich war wieder auf meine alten Vorarbeiten zurückgeworfen.

Zur Erklärung der Tabelle muß ich zuvörderst sagen, daß dies nur die Spitze eines Eisbergs ist. Jede der Hauptnummern umfaßt - für Sie nicht sichtbar - noch eine Liste von 3 - 10 Untergruppen. Jede dieser Untergruppen enthält ein kleineres Sammelgebiet. Was offenkundig nicht, noch nicht oder nicht mehr gesammelt wird, das ist auch unter den Kleingruppen nicht enthalten. Wir wissen etwa aus der Theologie, daß ein Dutzend Rand- und Sondergebiete emsig gesammelt wird von unseren Kunden, der ganze Rest, ein riesiges Feld, aber brachliegt, eine Wüste des Sammelinteresses. Was jene seltsame Eichstätter Bibliotheksdirektorin aber noch lange nicht zu ihren legendären Ramsch- und Vernichtungsaktionen berechtigt hatte. Auch alte Theologica außerhalb der Sammelgebiete sind pfleglich zu behandeln und zu behüten. Warum? Eigentlich weiß ich auch nicht cui bono. Aber aufbewahrt muß werden, das ist unser Amt!

Ich veröffentliche also hier mit Absicht nur das "obere Gerüst" der etwa 85 Sachgruppen. Ich meine nämlich, daß  u n t e r h a l b  dieses Levels die individuelle Diskussion der Antiquare, auf dem Weg zu einer verbindlichen Klassifikation, anfangen sollte. Ich stelle die Liste vor mit der Frage: Könnten wir das vom klassischen Antiquariat her erst einmal als verbindlichen Rahmen akzeptieren?

Noch eine Anmerkung (von vielen, die notwendig wären, die Sie aber langweilen würden). Öfter müßte neben den Stichworten "allgemein" stehen. Ich habe mich über diese etwas störenden Zusatz geärgert und versucht, das Wörtchen einfach wegzulassen. Ich denke, auch so bleibt die Liste verständlich, das "allgemein" erklärt sich sinngemäß von selber.



Die Foto sind beide geschützt und nicht mein Eigentum. Dank für die Ausleihe aus Flickr.

1 Kommentar:

  1. Ein verspäteter Kommenat
    Die SSH = Systematik der Stadtbibliothek Hannover und SfB = Systematik für öffentliche Bibliotheken Ende der 70iger Jahre fand ich seinerzeit für meine sozialwissenschaftlichen und (gewerkschafts-)historischen Arbeiten sinnvoll und nützlich.

    Die Gliederung von Peter Mulzer hat Stärken und Schwächen. Lob ist aber auch angebracht. Auf die Lobseite will ich hier nicht näher eingehen.

    An Gesellschaftstheorien gibt es sicherlich mehr als Kommunismus, Sozialismus und NS-Ideologie. Die beliebten Darstellungen der Monarchien kann ich nicht einordnen, auch die Demokratie. Das die Gewerkschaft unter Fürsorge mitläuft ist schon etwas merkwürdig. Der Bereich Arbeiterbewerung und Neue Soziale Bewegung fehlen. Altertum, Mittelalter, Gegenwart, Weltkrieg können m.E. nur Untergliederungen von 45 Geschichte sein. Abenteuer, Karl May und Utopie in einen Topf zu werfen und und Fantasy und Horror wegzulassen überzeugt mich auch nicht. Biographien kann man noch notfalls in einen Gliederunspunkt einzwängen.

    Wo soll Umwelt- und Naturschutz hinein? Gibt es Hobby? Wirtschaft in einem Punkt abzuhandeln überzeugt mich auch nicht. Wohin gehörten alte Berufe, wohin Industrie und Schiffahrt, Häfen? Krimis scheint es auch nicht zu geben.

    Nein, das scheint kein großer Wurf - ein Schnellschuß?
    Nutzbuch@aol.com

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