Freitag, 17. September 2010

Was für Informationen brauchen wir im Antiquariat ?


Was für Informationen brauchen wir im Antiquariat ?  T e i l  1.

Ich habe lang überlegt, ob nicht die Überschrift sinnvoller hätte heißen sollen: "Was für Informationen brauchen wir im Antiquariat  w i r k l i c h ". Denn ein Blick in die Handbibliothek eines beliebigen Kollegen reicht aus, um zwanzig Bände zu sehen, die in Griffnähe des Antiquars regelmäßig benutzt werden - und zweihundert andere, die seit langem nicht mehr konsultiert wurden. Stehen sie nur zur Dekoration da? Oder hat sich die betrübliche Tatsache herumgesprochen, daß mittlere Handbibliotheken der Antiquare - einst gesuchte Zimelien - heute nur noch kümmerliche Versteigerungsergebnisse erzielen, man sie also besser stehen läßt, zur Zierde des Geschäfts?

Meine tiefe Abneigung gegen alle Auflagen des "Wendt" ist bekannt. Was im Antiquariat heute gewußt werden sollte, das steht nicht drin, unpraktischer Quisquilienballast aber findet sich dort zuhauf.

Das liegt nicht nur, aber vor allem am Internet. Man darf sich nun nicht einfach fragen: "Steht der Titel, stehen seine Informationen im Internet, habe ich das nun digital?" . Denn verändert hat sich durch das Internet inzwischen die ganze  S t r u k t u r  des antiquarischen Sachwissens. Kunde und Händler gehen heute ganz anders an die Erschließung eines Buchs heran.

Nicht nur Google und im engeren Sinn Wiki sind die Hauptquellen. Seither hat sich bei unseren Kunden ganz massiv, bei den Antiquaren leider eher selektiv und kümmerlich herumgesprochen, welchen Nutzen  F a c h p o r t a l e  bieten. Ich kann heute an keine theologische Literaturfrage herangehen, ohne das große Portal der theologischen Bibliotheken im deutschen Sprachraum zu konsultieren. Ebenso muß ich den Katalog der UB Tübingen voreingestellt haben zur Beantwortung einer theologisch-bibliographischen Frage. Auch sollte ich wissen, daß das entsprechende US-Portal eine ganze Welt hierzulande fast verschollener deutscher theologischer Fach- und Kleinschriften des 17.-19. Jahrhunderts erschließt, allwo deutsche Pfarrer zwischen Philadelphia und San Francisco sorgsam alles sammelten, was übers Meer kam.

In ähnlicher Weise muß das für jedes Fach, jedes Sammelgebiet durchdekliniert werden.

Im Bereich des Buchwesens kann man reinweg verrückt werden, wenn man das Sammelsurium unzureichend oder gar nicht, jedenfalls aber zersplittert und unpraktisch erschlossener Fachschriften überblickt. Es ist zum auf der Sau fortreiten! Hier kommt man sich wie ein Urwaldindianer mit der Machete vor, der sich durch Urwälder mühsam einen Pfad freischlagen muß. Vom Schriftmuseum über die Gutenberg-Weihestätten, über den etwas seltsam erschlossenen Schatz des Börsenvereins-Archivs, über ein Dutzend unpraktisch angelegter Fachbibliotheken bis hin zu den exzellenten, aber nur mühsam separat greifbaren Beständen der großen Allgemeinbibliotheken in Sachen "Buchwesen / Antiquariat" - jeder Bücherliebhaber wird dankbar sein, wenn in einer übersichtlichen Tabelle "seine" Fundstellen erklärt und verlinkt werden.

Aber mit dem Verlinken ist es nicht getan. Die lieb gemeinten Versuche, vor einigen Jahren waren sie modern, in ganzen Batterien seitenweise nur hübsch geordnete fachbezogene Links zur Verfügung zu stellen, lassen den Nutzer weitgehend im Regen stehen. Wo immer es angängig ist, muß ich ihn direkt an die Suchmasken führen, besser noch einige Stichworte zur Natur der Bestände beifügen.

Mit dem eigenen Scannen wird jedes Informationsportal zurückhaltend sein. Der Zeitaufwand für das Scannen ist nicht unerheblich, die Feststellung der Rechtslage womöglich noch stressiger. So zweifle ich z.B. keinen Augenblick daran, daß der Börsenverein die Ansicht vertritt, die Beiträge der über 70 Jahre toten Autoren des alten Börsenblatts vor 1945 seien urheberrechtlich geschützt, weil die Autoren ihre Rechte auf Dauer an den Verlag abgegeben hätten. Beweisen kanns vermutlich keiner. Von den fachbibliographischen Verlagen wie Hiersemann usw. ganz zu schweigen. Der Nachdruck, das Einstellen angejahrter Texte aus dem Themenkreis des Antiquariats ins Netz ist kein Vergnügen. Dies nur am Rande.

Eine ganz wichtige Frage, die vorab zu lösen ist: Wie weit gehe ich in Fremdsprachenbereiche hinein? Wir sprechen von Bereichen, weil es für fast alle antiquarischen Themen Entsprechungen nicht nur in anderen Sprachen, sondern damit zugleich in anderen Kontinenten gibt. Es ist und bleibt mir ein Lehrstück, wie wenig wir bei der Genossenschaftsgründung über das Antiquariat in den USA wußten, womöglich noch weniger über das in England; Frankreich war und ist eine Wüste des Unbekannten für uns.

Zweierlei wirkt sich da aus. Einmal die unselige, aber nicht zu ändernde Schichtenaufteilung unseres Gewerbes in Edelantiquare - für die sind Auslandskontakte selbstverständlich. Im großen Mittelfeld gibt es einzelne Kollegen, die sich im Altbuchwesen Frankreichs, Englands usw. gut auskennen. Typisch für diese kleine Gilde ist es aber nach meiner kummervollen Beobachtung, daß gerade sie wenig kooperativ eingestellt ist und ihr Wissen für sich behält. Die Unterschicht des Antiquariats ist von solchen Sorgen ganz unbeleckt und blickt einen verständnislos an, wenn man vorschlägt, doch einmal bei den Antiquaren in Melbourne anzuklopfen.

Wie unsicher auch sonst gute Medien in diesem Punkt sind, kann man am Börsenblatt oder am Kulturteil der FAZ schön sehen. Grotesk selektiv werden einzelne, vermutlich "interessante" Ereignisse in Hongkong oder New York herausgepickt, die große Linie aber wird ganz vernachlässigt. Jenseits unserer Stadttore leben nur Bauern und Jäger, nicht wahr?

Mir scheint, ein Informationsportal wie das hier geplante muß einen Kompromiß eingehen. Der angelsächische und der französische Sprachraum sollte umfassend und weltweit in Berichten, Links, Fundortnachweisen usw. eingebunden werden. Was ansonsten in der Welt in anderen Sprachbereichen "antiquarisch" vor sich geht, muß weiterhin unter den Tisch fallen.

Das tut mir weh vor allem für die spanischen und portugiesischen Bereiche. Aber wer, ich bitte Sie, kann bei uns wirklich spanisch lesen?

Noch eine Randbemerkung. Wir hatten an dieser Stelle vor einigen Tagen die neue allgemeine Systematik für das Antiquariat vorgestellt. Sie bedarf noch einer wichtigen Ergänzung (die aber erst nach und nach geleistet werden kann): Einen Thesaurus festgelegter Begriffe. Irgendwelche Esel haben z.B. in unsere Datenbanken massenhaft "hardcover" eingeführt, es geistern bei uns "Autorenkollektive" herum, die Angrenzung von "Modernes Antiquariat" und "gebrauchtes Buch" ist auch schon unklar geworden bis in Fachinserate mancher Kollegen hinein. Es gibt schöne, aber außerhalb des engen Zirkels der Büchersammler weithin unbekannte Begriffe wie "Halbfranz-Band", die energisch und ein für alle mal abgeschafft gehören. Das ätherische Gesäusel der ergrauten Bücherliebhaber in Messen und auf Tagungen verbaut uns den Weg zu dem, was unser Gewerbe am nötigsten braucht, zu den

N e u e n  K ä u f e r s c h i c h t e n.

Ein Informationsportal wirkt immer auch stilbildend. Ich werde mich bemühen, den Zopf überholter Fachtermini radikal zu beschneiden, um auch Außenstehenden besseren Zugang zum Antiquariat zu ermöglichen. Das Antiquariat braucht sein "Vaticanum", die Messe soll auch bei uns auf Deutsch, nicht in lateinisch abgehalten werden. Wir müssen das Antiquariat an junge Käuferschichten heranbringen. Daß einige der alten Herren darüber seufzen werden, ist betrüblich, aber wohl nicht zu vermeiden. Ich bin selber einer und gelobe, tapfer mitzuleiden.


Das Bild aus der Druckerei Augustin in Glückstadt (einst bekannt füt ihre Fremdsprachendrucke) verdanken wir der Webseite diethede.de. Wir halten keine Rechte an diesem Foto.

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