Donnerstag, 16. September 2010

Plädoyer für eine Neuauflage unserer Genossenschaft




a)
Wimbauers Leiden
Wir wissen über den Alltag des Kollegen Wimbauer recht gut Bescheid. Daran ist er selber schuld, seine twitter-Beiträge stellt er oft und fleißig ins Netz und seine Webseite ist beredtes Zeugnis einer poetischen Seele, die sich durch die fürchterliche Routine des antiquarischen Alltags nicht unterkriegen läßt. Bei ihm denke ich immer an die Glockenblume, die sich unseren Hof trotz Betonplatten-Verbundgreuel erobert hat, zwischen den Fugen. Oder an den lebenslänglich Verurteilten, der Mozartpartituren einstudiert in seiner Zelle.

Warum leben Menschen wider besseres Wissen , entgegen aller Vernunft, mit beständigem Imzaumhalten ihrer Seele und ihres Geistes in der Alltagsfron des mittleren Antiquars?

Es gibt unterschiedliche Formen des Verbergens, des Kaschierens, die allesamt Überlebenstechniken sind im Grauenhaften. Devise ist, sich nur die grenzenlose Tristesse der Routinearbeit unseres Gewerbes nicht zugeben müssen. Plocher unternimmt literarisch-poetische Ausflüge, RFMeyer dagegen ist eher philosophisch-historisch eingestellt. Man kann sich wie Hohmann als Fachmann von hohen Graden im gewählten Kerngebiet erweisen, in seinem Fall die Volks- und Betriebswirtschaft, oder das kleine Universum eines engumgrenzten Lebensbereichs abschreiten, Dumjahn und die Eisenbahn zeigen uns, wie das geht.

Wimbauer teilte mir vor Monaten auf meine wie immer etwas taktlose Anfrage freundlich mit, daß er sich bei seiner Tagesarbeit wohlfühle wie der Spatz im Klee. Keiner der Kollegen hat auch nur von fern über seine Fron geklagt. Das will mir nicht in den Kopf.

b)
Wölkis Hausfrauenriege
Es gehört zum guten Ton, im Kreise der Kollegen von ihm nicht zu sprechen. Ich halte das für einen Fehler, denn wir könnten eine Menge lernen aus dem, was er richtig gemacht hat, noch mehr freilich aus seinen Fehlern. Er hatte, man erinnert sich, als erster größere Gruppen von Hausfrauen, stellunglosen Studenten und anderen meist bedürftigen Zeitgenossen an die Serienbearbeitung von Büchern der unteren und mittleren Güteklasse gesetzt. So kamen in Schüben abertausende von preiswerten Titeln ins ZVAB, die Kollegen konnte das nicht freuen.

Wölki hatte erkannt, daß bestimmte Routinearbeiten im Antiquariat sehr gut zu delegieren sind, wenn man nur will. In Klammern sei bemerkt, daß sich das alles noch vor den w+h-Zeiten abspielte und wirklich jeder Titel einzeln neu eingegeben werden mußte, den man anbieten wollte.

Ich bin Frauen gegenüber im Lauf eines langen Lebens, das sich allzu oft fast nur um diese merkwürdigen Wesen gedreht hat, sehr realistisch und skeptisch geworden. Es bedarf für mich keiner Bestätigung, wenn uns die Arbeitslehre sagt, daß Frauen bestimmte Routinearbeiten je lieber und zuverlässiger ableisten, desto geistloser sie, diese Arbeiten, ihrer Natur nach sind. Das Weib ist in diesem Sinn der ideale Titelaufnehmer, Buchbeschreiber, Buchscanner. Nein, liebe Kollegin aus Kiel, ich meine das nicht pejorativ. Es ist einfach so.

Hier liegt der tiefste Grund für die heillose Quälerei, der sich der mittlere Antiquar unterwirft, wenn er durchschnittliche Titelaufnahmen fertigt - es widerspricht dem männlichen Naturell völlig. Er kann weit weniger gut als jede Frau in Parallelwelten leben und, während er Titelaufnahmen abspult, an ganz andere Dinge denken, sich in zweite Lebenswelten versetzen. Er konzentriert sich, das  ist oft eher seine Schwäche als seine Stärke, nur auf eines, auf das, was er mit allen Sinnen und ohne Ablenkung tun will, tun muß.

c)
Vom Edelantiquarat zum Kistenschieber - keine Verbindung
Verstehen wir uns recht: Es ist eine wundervolle, lohnende Sache, sich interessanten Büchern, kniffligen oder auch schlichten Problemen der Geistesgeschichte, ästhetischen Graphiken, verheimlichten Autoren, anspruchsvollen Fachkunden zu widmen. Wer das nicht mag, sich nicht au fond wohlfühlt, wenn Arbeiten dieser Art anstehen, der hat seinen Beruf verfehlt und möge das Antiquariat fliehen wie der Teufel das Weihwasser.

Was nicht bedeutet, daß man es immer gleich können muß. Die glücklichsten Kollegen sind die Stümper in ihrem Fach, die Naiven, die sich trotz ihres Unwissens redlich ins Getümmel der Fragen und Probleme stürzen, Dilettanten im besten Sinn, wenn sie nur echtes Interesse haben an dem Universum des Antiquariats.

Im oberen, dem Edelbereich unseres Gewerbes sind Arbeiten dieser Art selbstverständlich. Der Antiquar kämpft sich mit Handbücherei, Internet und viel eigenem Gespür durch eine Reihe nicht immer teurer, wohl aber interessanter Titel - und ist zufrieden dabei. Beruf und Berufung, Neigung und Fähigkeiten stimmen überein, gerade die bei uns übliche Halbgebildeten, die vielen Abbrecher aus dem Unibereich, die Autodidakten auch aus Volksschule und Gewerbe, sie können ihr breites, aber fragmentarisches Wissen gut zum Einsatz bringen. In dieser Hinsicht wenigstens: Heile Welt des Edelantiquariats!

                                                                                                                                                                  Im ganz unteren Bereich wuseln Wölkis Damen allein oder zu mehreren vergnügt vor sich hin. Sie ahnen oft gar nicht, was ihnen entgeht, für sie sind Bücher recht interessante Objekte, die man eher selten lesen, wohl aber exakt bibliographieren, bepreisen und ins Regal stellen soll. Diese erstaunlich große Unterschicht des Antiquariats ist nach oben hin - auch zur Mitte - völlig abgeschottet. Auch mittlere Kollegen wissen meistens gar nicht, wie es dort zugeht.

Zurück zu Wimbauer. Er hat, ich vermute das mal ins Blaue hinein, auf neun ganz gewöhnliche, von der Arbeitstechnik her sterbenslangweilige, unter- und mittelpreisige Bücher eines, nur eines, das eine noch so kleine Denkleistung von ihm verlangt, die über Wölkis Kuhwiese hinausgeht. Ansonsten gilt es, exakt, ohne Irrtümer oder Fehleinschätzungen, zugleich aber mit inhaltsbezogenem Denkverbot belegt, die neun anderen Titel abzuarbeiten.

Diese Fron, die den Alltag des mittleren Antiquars weitgehend bestimmt, ist dem Edelantiquar völlig fremd, der untere Antiquar dagegen sieht sie als selbstverständlich an.

Anmerken wollen wir, daß es nach meinem Verständnis etwa 100 Edelantiquare und etwa 200 untere Antiquare geben mag. Die restlichen, sagen wir etwa 500 Antiquare, sind mittlere Kollegen. Auch wegen diesen Ungleichgewichten in der Typenverteilung ist es so notwendig, über Wohl und Wehe des mittleren Antiquariats zu sprechen.


d)
Eine zweite Genossenschaft mit Blickrichtung Neubuchhandel
Ich hatte vor vielen Jahren eine Genossenschaft im Antiquariat angedacht nicht etwa nur zum Erwerb des ZVAB. Wir bekamen dank Plurabelle und den damals noch recht unbekannten Yahoo-Gruppen in USA ja nur ganz vage Informationen herein über neue Genossenschaften der Antiquare in England und in den USA - Tomfolio hatte damals einen Zeitvorlauf von nicht mehr als 3 Monaten vor uns. Keiner von uns wußte, was wir von dort übernehmen, was wir lernen konnten. Als Alt68er schien es für mich immer selbstverständlich, daß eine umfassende Berufsorganisation auf sozialer, kooperativer Grundlage geplant werden sollte, mein Vorbild war der Schweizer Duttweiler und seine Migros.


Heute wissen wir mehr. Von allen Seiten sind wir im mittleren Antiquariat unserer Unabhängigkeit beraubt worden, wir laufen an mehreren Gängelbändern, sind auf Gedeih und Verderb von privaten Dienstleistern abhängig, ich brauche die Misere hier nicht zu referieren. Ich will auf eine ganz neue Denkrichtung hinaus, an der teilzunehmen ich Sie einlade.

Wie wäre es, wenn wir in der jetzigen Lage einmal ganz weit zurück blicken würden, in das Nachbarfeld unseres Gewerbes, hinüber zu den Neu-Buchhändlern des vorletzten Jahrhunderts?


e)
Das Grossohaus der Antiquare als Aufgabe einer neuen Genossenschaft
Es geht, wir sahen es oben, um die Entlastung des mittleren Antiquars von Routinearbeiten, die seiner unwürdig sind und die - noch wichtiger - eine zentrale Stelle weitaus effektiver erledigen könnte, billiger, mit besserer Absatzförderung, schneller, zuverlässiger, gleichmäßiger im Service, pünktlicher und sicherer in der Abrechnung.

Der mittlere Antiquar muß seine Arbeit endlich konzentrieren können auf

*seine Spezialgebiete,
*Bearbeitung mittel- und höherpreisiger Bücher,
*gut durchdachte Kataloge und Listen.
*Kundenbetreuung und, notabene, besseren
*Ankauf, der heute oft aus Zeitnot im Argen liegt.

Dies alles kann geschehen, wenn die Antiquare gemeinsam ein zentrales Haus einrichten, das

*Titel im unteren und mittleren Preis-Sektor

serienweise bearbeitet, lagert und verschickt. Dabei sollte von Neubuchhandel die Taktik übernommen werden, daß der einzelne Antiquar seine Namenshoheit behält - in Titelaufnahme, Fakturierung und Adressierung der Sendungen tritt das Grossohaus ganz zurück. Es arbeitet gewissermaßen unsichtbar im Auftrag der Kollegen.

Ausblick:
Alle 14 Tage sammelt ein Bücherwagen, auch er stammt aus der Geschichte des Neubuchhandels, die neuen Titel im unteren und mittleren Preisbereich, die der Antiquar nicht selbst bearbeiten will, auf großräumigen Rundfahrten ein. Titelaufnahme, Zustandsangaben, Wertfestsetzung, Einstellung in die Datenbanken ist Aufgabe des Grossohauses. Es rechnet per EDV alle 14 Tage mit jedem einliefernden Kollegen ab.

Und endlich hat Antiquar Wimbauer mehr Zeit für das, was ihm wirklich am Herzen liegt. Und Kollege RFMeyer lichtet seine schönsten Titel noch sorfältiger ab, zimmert ein zweites Labyrinth zu seiner Webseite hinzu, mitsamt Ariadnefaden, Kollege Plocher schafft sich noch ein weiteres Antiquariatsbüsi an und schreibt die Biographie von Jean Paul neu.

Alle sinds zufrieden. Man muß nur anfangen!

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