Montag, 18. Oktober 2010

Antiquare zu Putzfrauen! oder: Das Grossohaus der Antiquare













Kollege RFMeyer hat in seinem Blog zusammen mit Plocher am Wochenende den Blick auf ein altehrwürdiges Problem im Antiquariat gerichtet: Von welcher Wertuntergrenze ab ist es sinnvoll, ein Buch zu bearbeiten?

Die Grundfrage wird, mit geringen Toleranzabweichungen, von allen Antiquaren einheitlich beantwortet. Um Titelaufnahme, Wertvergleich, Zustandsermittlung und Preisfestsetzung in Angriff zu nehmen (von Scans, Sachindizierungen, biographischen Ergänzungen oder gar Wikibezügen lasset uns in diesem Zusammenhang schweigen), dann die w+h- Mühle in Bewegung zu setzen (oder selbstgestrickte CSV-Dateien zu befüllen), die zu den Bücherdatenbanken hochgeladenen Daten zu überwachen, allfällige Bestellungen später zu bearbeiten, hinter der Bezahlung herzulaufen - um also diesen Bandwurmsatz in die Tat umzusetzen, gelten folgende zwei Voraussetzungen

- es muß sich lohnen und
- es muß Spaß machen.

Hurtig noch drei Eingrenzungen - wenn ich mich dazu entschlossen habe, ein bestimmtes S a m m e l g e b i e t intensiv zu bearbeiten, es im Laden vorrätig zu halten und zu bewerben oder es in Lagerlisten aufzunehmen, dann werde ich jeden noch so bescheidenen Titel aufnehmen. Denn da erwartet man dann vom Antiquar Vollständigkeit. Und wenn ich vermute, daß meine S t a m m k u n d e n , sofern ich welche habe, diesen oder jenen Titel kaufen könnten, dann nehme ich den Titel auch auf. Denn beim Antiquar meines Vertrauens kaufe ich auch Billig- und Massentitel lieber als sonstwo. Und drittens sind ältere K l e i n s c h r i f t e n , besonders wenn "vor der ISBN-Zeit" immer aufzunehmen, denn sie bringen zwar wenig Geld, können aber Lücken füllen und die Bearbeitung indirekt dann eben doch lohnen.

Wie aber, bitte, verfahren wir mit dem Rest, der (je nach Betriebsart) 30 - 50 (realistischer Mittelwert) - 80 % der Bücher, wie sie sich aus Privatankäufen vor Ort ergeben, ausmacht?

Es ist für den Antiquar immer sehr nützlich, wenn er sein vermeintlich höheres, geistiges Tun in Gedanken herunterfährt auf die nüchterne Wirklichkeit eines Betriebswirtschaftlers. Er sollte z.B. ganz trocken von sich fordern, das Bruttogehalt einer ausgebildeten Putzfrau zu erhalten, will sagen brutto 12 Eur. Als Selbständiger muß er ja einen Rattenschwanz von Vorsorge- und Versicherungsleistungen selber berappen, die unsere Reinemachefrau mindestens teilweise anderweitig zugerechnet erhält.

Unter 12 Eur brutto soll ein Antiquar nur dann arbeiten, wenn der zu erwartende ideelle oder Werbenutzen (oder sein Spaß an der Arbeit) das Unterschreiten der 12 Eur-Grenze rechtfertigt. Nun ist aber das Titelaufnehmen und Bearbeiten von ISBN-Titeln unter 20 Euro (gemeint immer das durchschnittliche ZVAB-Preisniveau) so ziemlich das Grauenhafteste und Stupifeste, was sich denken läßt. Ich lasse mir das auch nicht durch die vergnügten Twitterbeiträge des Kollegen Wimbauer ausreden, der sich seine Trittmühle durch Joggen, Büsistreicheln und Sichfreuen auf vegetarische Pampe erträglich macht.

Wie sieht denn die Rentabilität bei ISBN-Titeln unter 20 Eur aus? Nehmen wir für die Rechnung nun einen Buch-Mittelwert (weiterhin ZVAB) von 12 Euro. Der Titel wird im Schnitt, geschätzter Wert, mindestens 3 x bereits angeboten. Ich habe eine Verkaufschance innerhalb eines vernünftigen Zeitraums, sagen wir 2 Jahre, von 15 %. In einem Blog wurde kürzlich von 30 % Abverkauf solcher Titel gesprochen, daran glaube ich nicht. Der Mittelwert 15 % stimmt ganz sicher, sonst würden die Bestände unserer Bücherportale anders strukturiert sein.

Ich setze voraus, daß schnell, sogar sehr schnell gearbeitet wird, mit allen w+h-Schikanen oder aber - das ist ein anderes Thema - ebensoschnell mit selbstgetrickten CSV-Tricks. Scan ist dabei nicht zu leisten, auch keine zusätzlichen Hilfsangaben zur Erschließung des Inhalts oder zum Autor. Die reine Zeit liegt dann bei 3 Minuten je Buch. Hinzu kommen Versand und Fakturierung, auch sie teilautomatisiert. Wir setzen dafür 5 Minuten an, notabene umgerechnet auf 15 % (die ja nur verkauft werden in 2 Jahren) sind das je aufgenommenem Titel 300 ./. 7 = 40 Sekunden.

Sie sehen, ich rechne um die Ecke herum, um den Zeitwert je aufgenommenem Einzeltitel + Versandanteil zunächst für sich separat zu haben, nämlich 3 Minuten 40 Sekunden. Diesen Wert muß ich nun natürlich auch x 7 nehmen und komme auf einen Zeitwert je tatsächlich verkauftem Buch von abgerundet 25 Minuten.

Für den Ankauf der 7 sozusagen "zum Verkauf eines Titels benötigten" Bücher setze ich einen Ankaufspreis von je Buch 50 Cents an, billiger können es nur Bookmarathon & Co. machen, es sind bei einem ZVAB-Mittelwert von 12 Euro ja doch passable Bücher. Macht also 3,50 Eur Ankaufskosten.

Ganz grob gerechnet und 25 Minuten zur Abrundung auf 30 heraufgesetzt gilt: 30 Minuten Arbeitszeit je verkauftem Buch bringen dem Antiquar brutto 8,50 Euro. Sein Stundenlohn ist also brutto 17 Euro.

(Man müßte die Rechnung komplizierter ansetzen, indem man -positiv- eine Querfinanzierung bei Ankäufen zugunsten teurerer, lohnenderer Titel annimmt und dann aber auch -negativ- einen Rattenschwanz weiterer Kosten und notwendiger Zeitvertrödelung ansetzt. Im Mittelwert aber wirds so stimmen).

17 Eur brutto heißt netto, je nach Verhältnissen, für den Selbständigen etwa 12 Eur netto.

Da sind wir nun an der Grenze des Stundenlohns einer bewährten Putzfachkraft angekommen. Darunter wollen und sollen wir nicht gehen.

Fassen wir zusammen (und beantworten wir damit die Frage der Kollegen RFMeyer und Plocher etwas gründlicher) : Der Buchantiquar d a r f Titel mit ISBN-Benummerung und mit einem ZVAB-Wert unter 20 Eur n i c h t aufnehmen. Tut er das doch, handelt er unwirtschaftlich, beutet sich selber aus und muß jederzeit wissen, daß er als gestandener Putzmann den gleichen schäbigen Lohn erhalten würde.

Was lehrt das nun einem preußischen Schulmanne?

Da der Ankauf vor Ort bei Privat die Seele eines vernünftig geführten Antiquariats ist - nur wenige Ausnahmen gelten im Fach- oder Edelbereich -, kommen diese Titel jederzeit in rauhen Mengen herein. Der Antiquar könnte sie fast gratis weitergeben an Kollegen des Unterbereichs, wo dann aber dieselbe wahnwitzige und blödsinnige Selbstausbeutung stattfindet, nur dort ohne die tröstliche Chance einer Querfinanzierung und ohne gemütmäßigen Aufhellung durch bessere, seltenere Titel.

Gewisse Kollegen mit der dafür notwendigen Arroganz und Gemütskälte faseln gern von den grünen Tonnen, die sie im Wochenturnus mit an sich ordentlichen, aber eben nicht mehr "lohnenden" Titeln befüllen. Ich glaube das nicht so recht. - Das Einstellen in Läden ist schon gar keine Lösung, da die Rechnung "Miete und Personal" heute selbst in Landgemeinden katastrophal ausfällt. Ich hatte meinen letzten Laden, dreimal wagte ich das Experiment, bei einem Miet- und Personalanteil je verkauftem Titel von 60 % (sechzig) aufgegeben. Das geht heute einfach nicht mehr.

Nochmals: Was tun?

Antiquare, die den Mulzer kennen, wissen schon längst, was jetzt kommt: Eine Neuauflage des Hauses der Bücher. Weil ich das Grundmodell als bekannt voraussetze, bei Interesse kann ichs aber auf Anfrage en detail ausbreiten, gehe ich nur auf die Grundlinien ein.

Bei jedem Antiquar wird nach dem Vorbild der Bücherwagen der Neubuch-Grossohäuser bundesweit alles ISBN-Titelmaterial unter ca. 20 Eur ZVAB-Preis abgeholt, Voranmeldung erbeten ab etwa 2-3 großen Schachteln. In einer Lagerhalle nehmen kurzausgebildete, halbwegs akademische Teilzeitkräfte die Titel w+h-mäßig im Schnellbleichedurchgang auf, wobei einer Standardisierung der Erhaltungszustände besonderes Gewicht zukommt. Eine Auswahl halte ich für nicht notwendig, aber gerade über diese Frage läßt sich trefflich streiten, muß auch diskutiert werden.

Die Titel werden numerisch eingestellt und nach Amazon-Standard verschickt. Fakturierung und Versandvermerke erfolgen im Namen des eingeliefert habenden Antiquars, sodaß der flüchtige Kunde annehmen muß, daß die Sendung vom Antiquar direkt kommt. Nur betriebskundige Käufer kennen die Wahrheit.

Ich erspare Ihnen, wie schon gesagt, heute eine Wiederholung der Rentabilitätsberechnung. Daß sie etwas besser aussieht als bei der Einzelbearbeitung im Antiquariat vor Ort, das leuchtet schon auf den ersten Blick ein.

Es geht mir nicht nur um ein kleines, aber feines Zubrot für den Antiquar, sondern es soll vor allem eine offensichtlich u n w ü r d i g e, ebenso geistlose wie quälende Routinearbeit aus dem Antiquiariat ausgegliedert werden, um sie fabrikmäßig zu erledigen.




Für das Schwarzweißbild mit den demonstrierenden Putzfrauen danken für dem "Alternativen Theater Göttingen", das die Rechte daran besitzt. - Das Farbfoto gehört dem lfs-berufskolleg-geldern.de.

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