Samstag, 9. Oktober 2010

Machtstrategien im Neubuchhandel und im Antiquariat




1.
Wenn ich die Gemeinschaftsideen, die Projekte, Ansätze und die verwirklichten Aktionen zur Förderung des unabhängigen Neubuchhandels betrachte, dann empfinde ich seit Jahren eine seltsame Mischung aus Mitleid und Ärger. Ich nenne hier keine Namen, Feinde habe ich schon genug. Irgendwann werde ich mir aber die Zeit nehmen und ein Kaleidoskop vor den Augen des geneigten Lesers entfalten, ein Bilderbuch unzulänglicher, oft geradezu kindischer Strategien. Man hat den Eindruck, als seien Praktikantinnen aus der Obersekunda oder schwerhörige Altbuchhändler aus Unterdingharting am Werk.

Mir tut das leid, und ich habe auch einen Verdacht. Den Verlagen sind mächtige Partner ein Greuel vor dem Herrn, anhand von Amazon konnten sie durchdeklinieren, wie gefährlich starke Partner auf der Vertriebsseite sind, ja: sein müssen. Schlimm genug, daß man mit den großen Buchhandelsketten auskommen muß, nun denn, mit Thalia, Hugendubel und Co. arrangiert man sich irgendwie. Ansonsten aber fürchtet die Verlegerseite nichts mehr als w e i t e r e, neue starke Partner in der Abnehmerfront.

Es müßte mit dem Teufel zugehen, würde auch gegen alle Regeln der Marktwirtschaft verstoßen, wenn die Verleger nicht mit diskreter, aber starker Hand dafür sorgen würden, daß Einigungsbestrebungen seitens der unabhängigen Buchhändler erfolglos bleiben. Das macht man, indem eine Fülle "gutgemeinter", tatsächlich aber aussichtloser "Aktionen" zur Förderung des unabhängigen Buchhandels gestartet und nach einiger Zeit dann unauffällig beerdigt werden, um neue zu gebären, von ähnlicher Qualität. Aktion, Aktivität, "wir tun was" - aber bitte nur Unzulängliches und Wirkungsloses.

Irgendwann werde ich herausfinden, w e r hinter solchen Machinationen steckt, die nach meiner Meinung den unabhängigen Buchhandel nicht gerade zu Grabe tragen wollen, aber emsig bestrebt sind, ihn zwischen Totenbett und Krankenhaus zu halten, damit er nicht aufmüpfig wird. Der unabhängige Neubuchhandel als Großmacht - da sei Gott vor.

Ich bin vermutlich nicht der einzige, dem die rührende Unzulänglichkeit fast aller Förderungsmaßnahmen des unabhängigen Buchhandels nachgerade auf die Nerven geht.

Weil aber das Antiquariat meine Hausjagd ist - ich im Neubuchhandel also nur wildere - lasse ich es mit diesen Andeutungen fürs erste sein Bewenden haben.

2.
Wäre ich neoliberaler Volkswirtschaftler, dann würde mir das Antiquariat ein gutes Beispiel sein für das Modell einer funktionierenden Einzelhandels- und Dienstleistungswelt. Auf den ersten Blick sehen wir ein mehr oder minder fröhliches Durcheinanderwuseln von Händlern, die regional, aber auch vom Umsatz her, von den Arbeitsmethoden, den Absatzwegen, den Themenbereichen her eine nahezu harmonische Vielfalt darstellen. Harmonisch im volkswirtschaftlichen Sinn, weil offenbar seit vielen Jahren ein echtes Gleichgewicht der Kräfte, Fähigkeiten und Umsätze besteht.

Die Antiquare haben für dieses Gleichgewicht eingefahrene Erklärungen, die sie jederzeit parat halten. In den Diskussionen des Börsenvereins-Netzdienstes, Abteilung Antiquariat, als sie noch stattfanden, spulte sich die hauseigene Argumentationskette stets ähnlich ab. Da ist dann die Rede von der "Vielfalt" des Gewerbes, von der "Ausbildung" der Kollegen. In aller Regel sind das schiere M y t h e n, die zu widerlegen einigen Spaß macht.

So kann keiner schlüssig erklären, welche Rolle die "Ausbildung" im Antiquariat spielen soll - das ist überwiegend Mumpitz. Auch ist die "Handbibliothek", ein anderer Mythos, im Internetzeitalter überwiegend lächerlich und allenfalls für Spitzenantiquare noch notwendig. Seit wir wissen, wie peinlich marginal alle kleineren Bücher-Verkaufsdatenbanken sind, gemessen an den drei großen, ist die ganze einst so verbissen geführte Diskussion um den Sinn kleinerer Datenbanken obsolet geworden. Eine Einschränkung habe ich zu machen - die Rolle der Buchauktionatoren, von München bis Hamburg, wird seit Jahren n i e diskutiert. In Anbetracht der Umsätze von Kiefer, Hartung und Co. muß da ein brandrotes Warnsignal aufleuchten: Welche Rolle spielen sie umsatzmäßig und in ihrer Hauptfunktion, aus den Beständen des mittleren Handels die Zimelien, die sich wirklich lohnen, abzuschöpfen?

Ansonsten aber gilt, daß der Antiquariatsmarkt, gerade auch im Absatzdreieck ZVAB - Ebay - Amazon, erstaunlich ausgewogen ist, vom Mit- und Gegeneinander der örtlichen Antiquariate in Mittelstädten bis hin zum landesweiten Absatz.

Ein Schulbeispiel der ausgewogenen Marktwirtschaft also? Jedenfalls nicht jenes bedrückende Ungleichgewicht der Machtstrukturen im Neubuchhandel, von dem wir sprachen. Denn das Antiquariat lebt zwar von den Abfällen der Verleger, fungiert als eine Art gehobener Aasgeier für deren abgelegte Produkte von Gutenberg bis Bertelsmann (um es unfreundlich zu sagen) - aber es braucht sich um die Marktmacht der Verlage einen Deut zu scheren und die (wenigen) mir bekannten Wortmeldungen der Neubuchverleger in den Diskussionen der Antiquare sind folgerichtig auch von ausgesuchter Arroganz und einem totalen Desinteresse geprägt. Der Antiquar als dummer armer Stiefelputzer.

3.
Wird sich das soeben dargestellte, fast möchte man sagen harmonische Gleichgewicht im Bereich des Antiquariats halten?

Die heute schon gut bekannten Faktoren der Digitalisierung praktisch aller Bücher vor etwa 1920 werden einige Gebrauchsnutzer vom Antiquariat entfremden. Die waren aber schon immer weniger wichtig für die wirklich "alten" Bücher, etwa vor 1945. Hier bleibt der Sammler weiterhin der wichtigste Partner des Antiquars. Das nimmt noch zu, hoffentlich. Würde man mich nach der zentralen, sofort in Angriff zu nehmenden Aufgabe des Antiquariats heute befragen, würde ich nicht einen Augenblick zögern und die

*Umwandlung des Nutzer- in einen Sammlermarkt

fordern. Das muß mit allen Mitteln, in einer kombinierten Analogie von Briefmarken- bis zum Kunstsammeln, hergestellt und erreicht werden.

Wie immer hat das Antiquariat mit Schwerpunkt auf neuere gebrauchte Titel in dieser Frage seine eigenen Sorgen. Für Titel vor allem nach 1945 ist und bleibt der Hauptverbündete des Antiquars in naher Zukunft das Urheberrecht.




























4.
Es gibt eine naheliegende Möglichkeit, den Antiquariatsmarkt in kürzester Zeit zu kippen, ihn zu zentralisieren und die verbleibenden Antiquare zu Angestellten, zu Bütteln eines (oder mehrerer) Konzerne zu machen.

Wir gehen heute aus von der Vorstellung, daß es "viel zu viel Bücher" gibt. Das mag stimmen für Titel mit Auflagezahlen über etwa 10.000. Alle anderen Titel sind einige Male in den Bücherdatenbanken verzeichnet, vielleicht 3-5 Stück, in ähnlicher Menge stehen sie in den Ladengeschäften.

Mehr gibt es am Markt zur Zeit nicht!

Nun fällt Ihnen spontan ein, worauf ich hinaus will: Es gibt im Antiquariat eine Möglichkeit zur

*Monopolisierung.

Nicht etwa im Bereich der seltenen, versteigerungsfähigen Titel über etwa 50 Euro, der "Edeltitel" also. Davon sprechen wir jetzt nicht. Sondern es geht um die Überlegung, daß und wie durchschnittliche Bücher monopolisiert werden können.

Ein Gedankenmodell. Ich kaufe en bloc die Bestände einer Reihe alter, kranker oder sonstwie unglücklicher Antiquare auf. Das ist heute unglaublich billig möglich. Nach kurzer Zeit verfüge ich über ein Lager von 200.000 bis 500.000 Titeln. Sie sind, so scheint es, fast alle wenig wert, denn die Absatzquote (nicht so sehr der Preis) ist ungeheuer niedrig, jeder von uns kennt das ja aus eigener Erfahrung.

Je mehr ich nun aber Bestände aufkaufe, desto größer wird meine Chance, einzelne Titel künstlich zu verknappen. Ich führe das nicht näher aus, bitte Sie nur um den Ausblick auf ein Bücherlager von, sagen wir 3 Millionen Bänden, das ich für etwa 500.000 Euro aufbauen könnte. Wir haben ja Beispiele aus Lagerverkäufen von durchaus ordentlicher Mittelware, die sich da hochrechnen lassen.

Die bisherigen Bestrebungen, als "Aufkäufer" am Markt zu agieren, sind von bemerkenswerter Kurzsichtigkeit, ja B lö d h e i t, wenn man näher hinsieht. So genau kann es nicht gehen!

Wenn aber irgendwer mit guten Bankverbindungen versucht, unseren Markt zu monopolisieren, dann meint das: Er kann nach kurzer Zeit die Bücherpreise d i k t i e r e n, sie nach gusto festsetzern. Und es meint, daß er dann durch Rationalisierung äußerst geringe Betriebskosten hat, mit denen kein Antiquar konkurrieren kann.

Bis zur Einrichtung örtlicher Ankaufszentren, flächendeckender Ankaufswerbung usw. ist dann nur noch ein Schritt. Aber der Monopolist wird den Teufel tun und etwa Verkaufsläden einrichten. Nein - er hortet im zentralen Lager immer mehr Titel, er kann die Preise immer besser diktieren, er zieht aus der Rationalisierung immer höheren Nutzen.

Zwar wird er fürs Kartellamt und überhaupt den Schein wahren und ein perfides, raffiniert angelegtes Netz von scheinselbständigen Vertrags-Antiquaren im ganzen Land unterhalten - die aber in Wahrheit nur seine Knechte sind.

Gebt mir eine halbe Million Euro und fünf Jahre Zeit - dann gibt es in Deutschland den örtlichen unabhängigen Antiquariatshandel nicht mehr.



Das nette Beispiel einer Buchwerbearbeit ganz oben verdanke ich der Webseite christazeuch.de, der auch die Urheberrechte daran gehören. Es ist notabene ein sympathisches, nicht unebenes Fallbeispiel. - Für die Ausleihe des Dagobert-Duck-Bildes gilt ganz besonders der Hinweis, daß es urheberrechtlich geschützt ist. Wird auf einfache Aufforderung hin sofort entfernt.

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