Samstag, 9. Oktober 2010

Jene kuriosen Goldeinbände oder: Selbstversuche im Antiquariat

Von gold

Mit stiller Rührung sehen wir, daß die Redaktion des Börsenblatt-Netzdienstes vom letzten Experiment des Verfassers Kenntnis genommen hat, mit der gebotenen Ironie versteht sich. Hier war sie angebracht, denn ich saß freundlich grinsend neben mir selbst während der Arbeiten und wußte nie, ob das nun eine Veralberung sein sollte oder der Anfang einer neuen Dienstleistung.

Die Reaktion einer mir nahestehenden jungen Dame, der ich die Fotos vorführte, heilte mich schnell von despektierlichen Anwandlungen - sie fand alles very nice und die Idee gut. Daß ich versäumt hatte, die Goldreihen in ein ansprechendes Ambiente hineinzustellen, hielt sie für einen groben Fehler und für meine Überzeugung vom Reiz des Gegensatzes (und einer leisen Selbstironie) in Gestalt alter Sten-Regale fehlte ihr jeder Sinn.

Was steckt dahinter? Wie bei jedem Antiquar mit älteren Beständen sammeln sich bei mir mehr oder minder vollständige Klassikerreihen an. Ich bin mitunter selbst überrascht angesichts der ästhetischen Qualitäten der Einbände, und oft steht der literarische Wert - und kurioserweise auch Drucktechnik und Papierqualität - des Innern in quälendem Gegensatz zur strahlenden Hülle. Da waren dann die Buchbinder besser in ihrem Fache gewesen als Dichter, Papierfabrik und Druckerei.

Wie jeder weiß, der versucht hat, solche Titel einzeln anzubieten: Sie sind kaum verkäuflich. Der Zeitaufwand für die Titelaufnahme und das Einstellen ist mit oder ohne w+h-Krücken in ganz schauerlichem Gegensatz zum Ertrag. Bei mir besteht ein halbes Zimmer aus solcher Literatur. Was tun? Ab und zu verscheuche ich Spinnen und Käferchen von den entsprechenden Regalen und sinne, während die Haustierchen beleidigt von der Decke aus zugucken, über Zweck und Nutzen meiner Schätze nach.

Angeregt durch Biesters Meldung von bayerischen Fürstenbibliotheken, die zu - freilich weitaus höheren - Dekorationszwecken als Ganzes, quasi en bloc, guten Absatz finden, stellte ich einige Versuche an. Ich kam erst nach längerem Hin- und Herschieben auf die Idee: Man muß aus den mehrere tausend Bände umfassenden Titeln und Teilserien der "Schönen Literatur" einfach diejenigen herausziehen, die wirklich hübschen Goldglanz im Rücken tragen. Erst durch solch selektives Vorgehen kommt man auf den Trick: Es sieht verdammt s c h ö n aus, wenn viele Goldrücken nebeneinanderstehen.

Gleich zwei Randbemerkungen. Der Goldglanz jener Buchgemeinschafts-Halblederbände aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, die jeder Antiquar in Massen im Regal stehen hat, "tut es nicht". Da ist keine M a g i e drin, kein "stilles Leuchten". Es muß mit der veränderten Art des Blattgolds nach 1914 zu tun haben. Buchgemeinschafts- und Volksverband der Bücherfreunde-Reihen um 1930 wirken in Serie ganz billig und aufdringlich. Es geht also wirklich nur mit Titeln vor 1914. - Zum anderen ist das immer nur ein Notweg. Man kann auf diese Weise zwar recht ordentliches, aber ansonsten unanbringliches Material zum einstigen Ankaufspreis wieder loswerden. Dahinter ist weniger ein "Geschäft" zu wittern als, man verzeihe mir das Pathos, ein würdiges Beerdigen solcher Titel. Es wäre aber ungerecht so zu formulieren, denn auch von der Sache her wirkt das Durcheinander der Literaturtitel anregend und wenn dann das Material vom Käufer mit eigenen Titeln ergänzt wird, entsteht eine hübsche Sammlung.

Nun hat nur eine Handvoll Antiquare solche Mengen entlegener Literaturtitel wie ich, gottlob, denn das ist eine schwere Last. Was nützt es da, wenn Stichproben ergeben, daß viele jener Trivialromane vor 1914, die mich seit Jahrzehnten begleiten und Kärferchen und Spinnen zur Heimstatt dienen, an kaum oder gar keiner der deutschen Bibliotheken nachweisbar sind? Das hohnvolle Gelächter, mit dem vor Jahren meine schüchterne Ankaufsanfrage von Marbachs Oberpriester(innen) beantwortet wurde, klingt mir heute noch in den Ohren.

Die wirklich seltenen Trivialromane vor 1914 haben freilich keine Goldeinbände, sie kommen in Sack und Asche einher, und keiner, keiner will sie haben. Dahinter stecken ziemlich kuriose Probleme, und ich bin zum engagierten Hasser und Kritiker des Programms der Sammlung deutscher Drucke geworden - weitgehend hohles Geklingele zuhanden der deutschen Kulturwelt, denn Lückenergänzung nach unten hin - soweit ich sehe ist keine Rede davon. Prestigeobjekte werden erworben. Der kleine Antiquar darf Käferchen und Spinnen züchten und in Dreierreihen Trivialromane um 1880 horten. D a s ist die Sammlung Deutscher Drucke...

Im Rahmen solcher Überlegungen kam ich auf die Idee, auch den Absatz der Goldeinbände zu testen.

Ich habe weit zeitaufwendigere Testreihen durchgeführt in den vergangenen Monaten, zum Teil "verdeckt", um nicht allzu transparent zu arbeiten für w+h und andere aufmerksame Beobachter der Szene.

Von daher weht ein eisiger Wind und ich möchte hier ankündigen, daß ich in nächster Zeit die Rentabilität unseres Gewerbes insgesamt anzweifeln und hinterfragen werde. Wir beuten uns, unter freundlicher Assistenz der Bücherportale, selbst aus und verdienen teils weniger als Putzfrauen.

Es sind nicht so sehr die Lesegeräte, noch weniger die frech-dümmlich in die Portale eingestellten "Neudrucke" aus den USA und anderswo, nein - es ist die völlige retrobibliographische Blindheit, die historische Ignoranz selbst ausgewiesener Fachleute unter unseren Kunden in ihrem ureigensten Fachgebiet und, notabene, das unsägliche Grauen der Darstellungstechniken und -taktiken unserer Bücher-Verkaufsdatenbanken, die zur Misere führen.

Da ist der kleine Versuch mit den Goldeinbänden nur eine humorvolle Randerscheinung. Freilich, wer wirklich größere Bestände dieser Art hat, der kann sie immerhin zu mäßigem Preise ganz gut loswerden. Das hat der Versuch gezeigt für "untere" Buchkriterien. Denn daß bedeutende Werke in schönen Einbänden fast immer gut gehen, das hat man gewußt. Für die unteren Literaturbereiche mußte man es ausprobieren.

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